Bernd Falk: Der Linksradikale als Jihadist

Bernd Falk
Bernd Falk (c) Alfred Hackensberger
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Früher war Bernd Falk Mitglied der linksextremen Antiimperialistischen Zellen (AIZ), saß wegen eines Anschlagsversuchs 13 Jahre in Haft. Heute gilt der 48-Jährige als eine Schlüsselfigur der deutschen Salafistenszene.

Der Islamist isst Käsespätzle mit Salat und trinkt Wasser dazu. Sein Gegenüber am Tisch in einem rustikalen Restaurant des Düsseldorfer Hauptbahnhofs mampft Currywurst aus Schweinefleisch und nippt an einem Bier. Beides ist für gläubige Muslime haram, also verboten. Aber das stört nicht. „Man weiß ja, wen man trifft“, sagt der Mann mit dichtem grauen Bart lapidar. Dabei ist der Islam die Mission seines Lebens geworden.

An der Schulter seiner Militärjacke hat er das muslimische Glaubensbekenntnis aufgenäht. Er nennt sich Muntasir bi-llah, ist allerdings besser unter seinem Geburtsnamen bekannt: Bernhard Falk. Der heute 48-Jährige war früher Mitglied der linksextremen Antiimperialistischen Zellen (AIZ) und saß wegen vierfachen Mordversuchs 13 Jahre im Gefängnis. Seit 2008 ist er wieder auf freiem Fuß. „Islam ist die beste und schönste Religion“, sagt der Exterrorist, der schon vor seiner Haftzeit konvertiert ist. Er schaufelt die letzten Reste seiner Käsespätzle auf die Gabel.

Der Attentäter von einst gilt heute als graue Eminenz der salafistischen Szene in Deutschland. Radikal ist er geblieben. Sein Markenzeichen ist eine skurrile Mischung aus Jihad, Scharia und einem altlinken Antiimperialismus. „Ich bin ein Kind meiner Zeit, das kann man nicht leugnen“, meint Falk. Aus seiner Vorliebe für die al-Qaida macht er keinen Hehl. „Das hat einfach Hand und Fuß bei denen“, sagt er nonchalant ohne rechthaberischen Eifer – so, als sei jeder selbst schuld, der kein begeisterter Anhänger dieses Terrornetzwerks ist.


Gefährlicher Multiplikator. Er ist nicht der Mann großer öffentlicher Auftritte. Das überlässt er anderen. Falk arbeitet hinter den Kulissen und informiert, wie er hinzufügt. Die Aushängeschilder der deutschen Salafistenszene sind die „Hassprediger“, wie Medien gewöhnlich über Sven Lau und Pierre Vogel kolportieren. Auch Ibrahim Abou-Nagie, der Korane in deutschen Innenstädten verteilt, gehört dazu. „Sie freuen sich über jede Seele, die sie zum Islam bekehren, aber viel mehr ist da nicht“, urteilt Falk spöttisch. Es sei gut, dass sie das Interesse für den Islam weckten, nur den jungen Leuten reiche das meist irgendwann nicht mehr. „Und dann bin ich da“, erklärt Falk, der auf islamistischen Veranstaltungen seine Flugblätter über Antiimperialismus und Jihad verteilt. „Klar, Aufrufe zu Gewalt oder anderen Straftaten gibt es bei mir grundsätzlich nicht“, betont Falk. Trotzdem: Hilfsorganisationen, die Familien mit Mitgliedern im radikalen Umfeld betreuen, warnen vor Falk. Er indoktriniere, sei ein „sehr gefährlicher Multiplikator“, der auch Islamisten in Haft bei der Stange halte.

Der Exterrorist widmet einen Großteil seiner Zeit der „Gefangenenhilfe“. Er besucht islamistische Straftäter, gibt ihnen Ratschläge, sucht einen Anwalt oder hilft bei persönlichen Problemen. Unter ihnen sind die vier Mitglieder der Düsseldorfer al-Qaida-Zelle, die in Deutschland einen aufsehenerregenden Terroranschlag geplant haben. Oder auch Marco Gäbel, der am gescheiterten Bombenattentat auf dem Bonner Hauptbahnhof sowie an der Planung eines Mordanschlags auf den Vorsitzenden von Pro-NRW beteiligt gewesen sein soll. Für Falk sind es „politische Gefangene“ des „BRD-Apparats“, jedoch kümmert er sich nicht um alle rund 60 inhaftierten Islamisten. Diejenigen, die „umfassende Aussagen“ gegenüber den Behörden machten, werden nicht betreut.

„Warten Sie einen Moment“, bittet Falk und kramt in einer seiner Stofftragetaschen, mit denen er ständig unterwegs ist. Er zieht „Allgemeine Richtlinien für den Jihad“ heraus, ein 21 Punkte umfassendes Programm. Verfasser ist al-Qaida Chef Ayman Zawahiri. „Hier steht, man soll keine Frauen und Kinder töten und auch keine Moscheen und Märkte angreifen.“ Falk will weismachen, das Terrornetzwerk al-Qaida sei gar nicht der blutrünstige Haufen, für den man es gemeinhin hält. An die tausenden Opfer der Gruppe verschwendet er keinen Gedanken.

Nur „Unschuld“ gibt es für den radikalen Islamisten nicht. „Die Deutschen haben Angela Merkel gewählt, die für Verbrechen an Muslimen verantwortlich ist.“ Und alle sähen tatenlos zu, fährt er fort und hat dabei die vorbeieilenden Passanten auf dem Hauptbahnhof im Blick. „Da muss man sich nicht wundern, wenn Leute Anschläge begehen.“ Falk zieht die Karte der Kollektivschuld. Ein beliebter Freifahrtsschein, den Terroristen generell benutzen, wenn sie jene töten, die ihre Ideologie nicht teilen. Wie konnte er diesen abstrusen Theorien auf den Leim gehen? Der Mann wirkt durchaus sympathisch, eloquent, einst war er der beste Abiturient seines Jahrgangs.

Eigentlich würde man sich über kuriose Figuren wie Falk kaum den Kopf zerbrechen. Aber er ist Teil der deutschen Islamistenszene, die seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs für Furore sorgt und stark angewachsen ist. Laut Bundesverfassungsschutz (BND) soll sie heute rund 7000 Menschen umfassen. Noch vor wenigen Jahren ging man von nur 2800 Salafisten aus. Man vermutet, dass seit 2011 700 deutsche Extremisten nach Syrien und in den Irak gereist sind. Die meisten davon haben sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen.

Das bekannteste Gesicht unter ihnen ist der Berliner Rapper Deso Dogg. Er und andere IS-Deutsche waren vermutlich an Massakern beteiligt. Eine ganze Reihe hat sich als Selbstmordattentäter in die Luft gejagt. Und es gibt Videobotschaften, in denen mit „verheerenden Anschlägen“ auf deutschem Boden gedroht wird.

„Unser Problem besteht darin“, sagte BND-Chef Hans-Georg Maaßen, „dass es immer wieder Personen gibt, die in Syrien und im Irak auftauchen, die wir vorher gar nicht gekannt haben.“ Falk kennt die meisten von ihnen noch aus Deutschland. Darüber sprechen will er nicht. „Das gibt nur Ärger mit den Behörden“, sagt er kopfschüttelnd, als eine lange Liste mit Namen deutscher IS-Kämpfer vor ihm auf dem Tisch liegt. Und Ärger mit Polizei und Geheimdienst möchte der Exterrorist nach 13 Jahren Haft unbedingt vermeiden. Jedes Flugblatt, jede Videoansprache für das Internet lässt Falk vom Anwalt prüfen.


Absurdes Kopfabschneiden. Irrtümlich wurde Falk von einigen Zeitungen als IS-Anhänger geoutet. Dabei habe er nichts mit der Terrormiliz zu schaffen und schon gar keinen Kontakt, wie er mehrfach entschieden betont. „Ich bin doch nicht verrückt – wenn uns zudem inhaltlich Welten trennen.“ Er sei zwar ebenfalls Salafist, der sich an der Zeit und dem Wirken des Propheten Mohammeds vor 600Jahren orientiere. „Nur Köpfe auf dem Fließband abschneiden, wie das der IS tut, ist doch völlig absurd“, erklärt er mit einem fast schon höhnischen Lächeln, als wäre die Terrormiliz ein Haufen von geistig Minderbemittelten.

Falk hält es mit der al-Nusra-Front. Sie ist der offizielle Stellvertreter der al-Qaida in Syrien. „Das ist ein langfristiges Projekt, bodenständig, mit Qualität und von der Bevölkerung unterstützt“, sagt Falk und bestellt noch Wasser. In der deutschen radikalen Szene wurde diese Meinung lang nicht gern gehört. Sie war von der IS-Invasion des Irak und dem Kalifat euphorisiert, das Abu Bakr al-Baghdadi im Juni vergangenen Jahres ausgerufen hatte. Die al-Qaida galt für IS-Fans als überholter und altbackener Verein, der den wahren Islam verunglimpft. Falk wurde beschimpft und bedroht. „Möge Allah dich erleuchten oder vernichten.“ Dies war eine von unzähligen Twitter-Nachrichten, die ihm beispielsweise Mohammed Mahmoud, ein bekannter österreichischer Jihadist direkt aus Syrien schickte. „Er muss selbst noch auf der Toilette geschrieben haben“, meint Falk lachend.

Nun habe sich das Blatt gewendet. Mit Genugtuung verweist Falk auf den Siegeszug „seiner“ al-Nusra-Front, die im Norden Syriens auf dem Vormarsch ist. Sie hat rivalisierende Rebellen, aber auch Assads Regimetruppen großflächig vertrieben. Ende März konnte die al-Nusra-Front sogar die Provinzhauptstadt Idlib erobern, und im April folgte das strategisch wichtige Dschisr al-Schugur. Am Montag fiel Mastuma, die letzte große Militärbasis des Regimes.

Für Falk sind das Nachrichten, die ihn in Gewinnerlaune bringen. Aber sie sind keine ausreichende Motivation, um zu seinen „Brüdern“ zu reisen. „Syrien ist doch eine Sackgasse“, denkt Falk. „Ich kann nie mehr zurückkommen.“ Selbst, wenn er als humanitärer Helfer unterwegs wäre – glauben würde das ihm niemand und schon gar nicht Verfassungsschutz und BND.


Falks Traum. Eine Hidschra, eine Auswanderung, wie sie einst Prophet Mohammed machte, käme für Falk nur mit einer „echten Zukunftsperspektive“ infrage. Das müsste schon ein islamischer Staat sein, der jedoch nichts mit dem der Terrormiliz IS zu tun hätte. „Das wäre ein völlig anderes, ein konstruktives Projekt“, erklärt Falk, „bei dem die Scharia nicht nach Lust und Laune ausgeübt wird.“ Ein gerechter islamischer Staat, das ist der große Traum des deutschen Islamisten. „Muslime brauchen nur irgendwo ein Stück Land, wo sie in aller Ruhe etwas Tragfähiges aufbauen können.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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