Glaubenskrieg: „Ganz untypisch für den Jemen“

YEMEN HOUTHIS FUNERAL
YEMEN HOUTHIS FUNERAL(c) APA/EPA/YAHYA ARHAB (YAHYA ARHAB)
  • Drucken

Der Jemen versinkt im Bürgerkrieg, im Zentrum stehen die Huthis. Wer sind sie? Sozialanthropologin Marieke Brandt kennt sie wie nur wenige im Westen, sie forscht seit Jahren in deren Hochburg, dem Nordjemen.

Die Presse: Im Jemen kämpfen schiitische Huthi-Rebellen gegen eine sunnitische Allianz unter saudischer Führung, erst vor kurzem wurde die Hauptstadt Sanaa wieder bombardiert. Lange Zeit haben Sunniten und Schiiten im Nordjemen aber gut zusammengelebt. Woher kommt diese versöhnliche Tradition?

Marieke Brandt: Die Zaiditen oder, wie sie manchmal genannt werden, Fünfer-Schiiten, sind im Grunde eine moderate, tolerante schiitische Glaubensrichtung, jahrhundertelang haben sie problemlos mit den sunnitisch-schafiitischen Gruppen zusammengelebt. Der Imam einer Moschee konnte Zaidit sein, die Betenden Sunniten, oder umgekehrt.

Wann hat sich das geändert?

Seit den 1980ern haben sich radikale sunnitische Richtungen wie die Salafisten auszubreiten begonnen, die vom benachbarten Saudiarabien unterstützt wurden. Die Salafisten sahen die Zaidis als „Ungläubige“, sie haben zum Beispiel ihre Friedhöfe und Gräber zerstört. So hat sich auch ein Teil der Zaidis radikalisiert. Aus dieser Gruppe sind die Huthis hervorgegangen.

Woher stammt die al-Huthi-Familie, die an der Spitze dieser Bewegung steht?

Die al-Huthi-Familie, die der Bewegung auch den Namen gegeben hat, sind Haschemiten, also Nachkommen des Propheten Mohammeds. Die Haschemiten sind vor etwa 1000 Jahren über Mekka in den Jemen eingewandert und haben bis zum Sturz der Monarchie 1962 die Imame gestellt, die den Nordjemen beherrschten. Genealogisch gesehen sind die Haschemiten durch ihre Abstammung eigentlich kein Teil der jemenitischen Stammesgesellschaft, obwohl sie mit den Stämmen zusammenleben und Heiratsverbindungen mit ihnen eingehen.

Das heißt, sie sind in die Stammesgesellschaft integriert?

Die Haschemiten werden traditionell von den Stämmen beherbergt und geschützt. Viele Haschemiten sind sehr gebildet und haben deshalb in der traditionellen jemenitischen Gesellschaft wichtige Aufgaben wie Richtertätigkeit und Konfliktvermittlung übernommen. Viele nördliche Stämme sind Zaiditen. Die südlichen Stämme sind hauptsächlich sunnitisch, bei denen können die Huthis allein wegen der Religion nicht Fuß fassen. Der Großteil der Huthi-Anhänger setzt sich aus Angehörigen der nördlichen, größtenteils zaiditischen Stämme zusammen. Diese Stämme verfolgen freilich oft ihre eigenen Absichten, was die Situation im Jemen so komplex macht.

Richten sich einfache Stammesangehörige politisch nach ihren Scheichs?

Im Norden des Jemen sind die Shaykhs, also die Stammesführer, von der Regierung finanziell immer sehr unterstützt worden, um ihre Loyalität zu kaufen. Deswegen sind die meisten Stammesführer aufseiten der Regierung. Ihre Stammesangehörigen sind aber häufig aufseiten der Huthis, weil das einfache Volk in den vergangenen Jahrzehnten von der Regierung sehr vernachlässigt wurde. Deswegen ist auch die Huthi-Bewegung mit ihrer Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, Ende der Korruption und Ende der Marginalisierung im Nordjemen so erfolgreich.

Erleben Sie die Menschen in den vergangenen Jahren als sehr verändert?

Es ist eine schwierige, aufgeheizte Situation, eigentlich ganz untypisch für den Jemen. Das liegt auch an der Gewalt gegen die Zaidis, die Regierung hat ja schon 2004 bis 2010 Krieg gegen die Huthis in Sa‘dah geführt, dadurch wurden sie weiter radikalisiert. Die Huthis selbst haben sich auch verändert. Früher galten sie mehr oder weniger als Opfer, aber seit vergangenem Jahr haben sie eine aggressive, expansionistische Politik verfolgt, die ihrem Ansehen sehr geschadet hat.

Kennen Sie viele Huthis persönlich?

Unzählige, von einfachsten Anhängern bis zu höchsten Anführern. Ihre Motive sind ziemlich unterschiedlich, die einen kämpfen gegen die Salafisten und al-Qaida, den anderen geht es mehr um gerechte Verteilung von Einkommen, Ressourcen, politische Partizipation und um das Ende der Korruption. Innerhalb der Huthi-Führung kämpfen aber die Falken mit den Tauben, seit Herbst 2014 haben die Falken die Oberhand gewonnen, vor allem weil so viele Moderate Attentaten zum Opfer gefallen sind. Die Falken verhindern die Versöhnung und treiben die militärische Expansion voran.

War und ist es leicht, mit den Menschen dort in Kontakt zu kommen?

Die Bewohner von Sa'dah gelten im Jemen und im Ausland als konservativ und schwierig. Ich selbst habe sie als sehr stolz erlebt, aber gleichzeitig unglaublich offen und gastfreundlich. Es war dabei immer ein großer Vorteil, eine Frau zu sein! Die Geschlechtertrennung ist im nördlichen Jemen relativ stark ausgeprägt, aber als westliche Frau ist man eine Art „Neutrum“ und hat Zutritt zu beiden Welten, Männer- und Frauenwelt.

Ihre Forschung müsste für die Politik interessant sein, sehen Sie dort Interesse?

Ja. Wir wissen sehr wenig über die Hintergründe der Huthi-Rebellion, so kann auch die Politik nicht adäquat reagieren. Deshalb ist der European Research Council, der meine Arbeit teilweise finanziert hat, für Grundlagenforschung in dieser Region. Die derzeitigen Konflikte im Jemen hätte man aus den sozialanthropologischen Forschungsergebnissen der 1970er- und 1980er-Jahre praktisch schon vorhersagen können.

ETHNOLOGISCHE EXPERTISE

Das Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, in dem Marieke Brandt arbeitet, hat eine lange Forschungstradition in der Region Sa'dah im Norden des Jemen und in den daran angrenzenden saudischen Provinzen Jizan und Asir. Brandt erforscht seit Jahrzehnten die Stämme in diesem Gebiet und wurde dadurch auch zur Expertin für die Huthi-Bewegung. In Kürze erscheint ihr Buch „The Tribal Narrative: Tribal Politics in the Huthi Conflict in Northwest Yemen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.