Rohingya: Vom Staat vertrieben, von Schleppern gefoltert

Rohingya migrant women, who recently arrived in Indonesia by boat, attend a mid-day mass prayer session inside a shelter in Kuala Langsa
Rohingya migrant women, who recently arrived in Indonesia by boat, attend a mid-day mass prayer session inside a shelter in Kuala Langsa(c) REUTERS (YT HARYONO)
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Die muslimische Minderheit wird in Burma verfolgt. Doch auch in den Nachbarländern sind die Flüchtlinge nicht willkommen: Bangladesch forciert ihre Umsiedlung, in Thailand und Malaysia werden sie bedroht.

Bangkok. Die ersten schockierenden Meldungen kamen Ende April: Polizisten entdeckten im Süden Thailands in Massengräbern die Leichen von 30 Menschen. Die Toten waren offenbar Flüchtlinge, die Menschenhändler in Lagern als Geiseln gehalten und misshandelt haben. Erst diese Woche kamen weitere Schreckensmeldungen hinzu: In Malaysia, auf der andere Seite der Grenze, entdeckten Polizisten 140Gräber mit sterblichen Überresten. Die Leichen zeigten Anzeichen von Folter, berichteten Journalisten, die sich vor Ort ein Bild der Lage verschafft haben.

Die grausamen Funde werfen ein Schlaglicht auf eine humanitäre Krise, die nun den Charakter einer humanitären Katastrophe annimmt. Denn noch immer treiben auf dem Indischen Ozean mehrere tausend Flüchtlinge auf Booten und kämpfen um ihr Leben. Kriminelle Banden haben sie dort ihrem Schicksal überlassen, nachdem die Behörden in Thailand das erste Massengrab entdeckt haben.

Verwandt mit den Bengalen

(C) DiePresse

Die meisten der Flüchtlinge sind Rohingya aus dem Westen Burmas. Sie sind eine kleine, muslimische Minderheit, die schon seit Jahrhunderten vor allem im Rakhine-Staat lebt. Die Rohingya sind ethnisch mit den Bengalen im benachbarten Bangladesch verwandt, sprechen aber eine eigene Sprache und haben eine eigene Kultur. Der burmesische Staat erkennt die Rohingya jedoch nicht als eine der offiziell mehr als 130 ethnischen Gruppen des Landes an. Aus offizieller Sicht – und in den Augen vieler Burmesen – sind die Rohingya illegale Einwanderer aus Bangladesch, die am besten das Land verlassen sollten.

Die staatliche Diskriminierung der Rohingya ist in Burma nicht neu. Unter der jahrzehntelangen Militärdiktatur wurden Mitglieder dieser Ethnie verfolgt und bei staatlich sanktionierten Gewaltausbrüchen vertrieben oder ermordet. 2012 nahm das Ausmaß der Verfolgung jedoch drastisch zu: Buddhistische Mobs wüteten, aufgestachelt von extremistischen Mönchen, in zwei großen Gewaltwellen wochenlang durch Stadtteile und Dörfer der Rohingya. Bis Ende des Jahres starben an die 190 Menschen, die meisten von ihnen Rohingya. Tausende Häuser wurden zerstört, zigtausende Menschen wurden in die Flucht getrieben. Menschenrechtsgruppen warfen Sicherheitskräften anschließend vor, nur halbherzig eingegriffen zu haben.

Mönche gegen Muslime

Ein Jahr später weiteten sich diese Unruhen auf weitere Landesteile aus. Die Gewalt richtete sich nun nicht mehr nur gegen Rohingya, sondern generell gegen Muslime. Eine radikale buddhistische Gruppe mit dem Namen 969-Bewegung, angeführt von dem fanatischen Mönch U Wirathu, zettelte Gewaltausbrüche in mehreren Landesteilen an. Etwa 50 Menschen starben, unter ihnen mehr als 30 Kinder und Lehrer eines muslimischen Internats, das die Gewalttäter niederbrannten.

Heute leben zigtausende Rohingya im Westen Burmas in Flüchtlingslagern. Menschenrechtsorganisationen berichten von unmenschlichen Bedingungen. Aus Angst vor weiterer Verfolgung verlassen die meisten von ihnen diese Lager nur selten. Vom burmesischen Staat können die geschätzten 800.000 Rohingya, die derzeit noch in Burma leben, keine Hilfe erwarten: Er erkennt sie nicht als Staatsbürger an, was die meisten von ihnen zu Staatenlosen macht. In einigen Teilen des Rakhine-Staats erzwingen die Behörden eine offen diskriminierende Anordnung aus dem Jahr 2005, wonach Rohingya nicht mehr als zwei Kinder haben dürfen. Die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch bezeichnet dieses Vorgehen als „ein weiteres Beispiel für die systematische und weitreichende Verfolgung dieser Gruppe“. Nicht ohne Grund bezeichnen die Vereinten Nationen die Rohingya als „eine der am stärksten verfolgten Minderheiten der Welt“. Papst Franziskus verglich kürzlich die Rohingya, die derzeit auf Flüchtlingsbooten auf Rettung warten, mit den Jesiden in Syrien und im Irak.

Kontroverse Umsiedlung

Doch auch von Bangladesch können sich die Rohingya keine Unterstützung erhoffen. Das Land verweigert ihnen die Einreise. Erst am Mittwoch kündigte die Regierung in Dhaka an, die rund 32.000 registrierten Rohingya-Flüchtlinge, die in zwei Lagern unweit der Grenze zu Burma leben, auf eine Insel im Süden des Landes umzusiedeln. Geschätzte 200.000 Rohingya leben als illegale Einwanderer im Land und erhalten keinerlei Unterstützung vom Staat.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, das sich um diese Menschen kümmert, hat erklärt, ein Wohnortswechsel müsse freiwillig geschehen, wenn er erfolgreich sein solle. Eine erzwungene Umsiedlung wäre eine sehr komplexe Angelegenheit und umstritten, erklärte eine Sprecherin. Offiziell soll die Umsiedlung erfolgen, um Raum für Tourismusprojekte zu schaffen.

Thailands Militärregierung kündigte unterdessen an, Menschenrechtsgruppen zu überprüfen, die sich für Rohingya einsetzen. Es gelte herauszufinden, ob diese Gruppen in den Menschenhandel involviert seien, erklärte General Prayuth Chan-ocha, Thailands Militärherrscher. In einer seiner gewohnt ausschweifenden Erklärungen sagte Prayuth, er frage sich, ob diese Gruppen absichtlich dafür gesorgt hätten, dass das Schicksal der Flüchtlinge derzeit international so viel Aufmerksamkeit erhalte. Das Problem sei doch schon seit über zehn Jahren bekannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2015)

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