Premier Modi: Der Vorturner für das „indische Jahrhundert“

Narendra Modi
Narendra Modi(c) REUTERS (ADNAN ABIDI)
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Premier Narendra Modi hat sich nach einem Jahr im Amt als Außenpolitiker profiliert, weniger jedoch als Reformer. Sein Eigenlob entspricht nicht ganz der bisherigen Leistung.

Wien/Neu Delhi. Zum ersten Jahrestag des Amtsantritts schenkte sich Narendra Modi neulich eine halbseitige Annonce in der „Times of India“, in der der indische Premier die Bilanz seiner Regierung anpries. Die Eloge klang mit der Verheißung aus: „Freunde, dies ist nur der Anfang. Zusammen werden wir das Indien eurer Träume bauen.“

An Selbstbewusstsein fehlt es dem 64-jährigen Hindu-Politiker wahrlich nicht, der sich rühmt, mit bloß drei Stunden Schlaf auszukommen und der sich demnächst als Yoga-Guru bei einem Massen-Event in New Delhi auch zum Vorturner der Nation stilisieren wird.

Als er zum Nationalfeiertag an der Seite von US-Präsident Barack Obama Ende Jänner die Militärparade in der indischen Hauptstadt abnahm, trug Modi einen Nadelstreifenanzug mit Goldfäden, mit denen sein Name eingewebt war. Obama würdigte dessen Aufstieg aus der Armut an die Spitze der größten Demokratie der Welt, und die beiden Männer zelebrierten ihre Freundschaft. Prompt ging das Wort von „Mobama“ um die Welt.

Geopolitischer Schachzug

In „Time“, das Indiens Premier in einer Titelgeschichte taxfrei zum „Next Global Player“ kürte, bezeichnete Modi die USA sogleich als „natürlichen Alliierten“. Dies war ein cleverer geopolitischer Schachzug, unterhielten die USA doch lang bessere Beziehungen zu Indiens Erzrivalen Pakistan. Währenddessen galt Russland in der Gandhi-Ära als Schutzmacht Indiens. Bis zu seinem Wahltriumph vor einem Jahr war Modi wegen seiner dubiosen Rolle als Ministerpräsident des Bundesstaats Gujarat im Jahr 2002 bei einem Massaker von Hindu-Nationalisten an Muslimen überdies mit einem Einreisebann der USA belegt. Bei einer US-Tournee im vorigen September umjubelte indessen die immer wichtigere indische Community in den USA den Premier im Madison Square Garden, der ausverkauften Sportarena im Herzen New Yorks. Nationalistische Töne kamen ihm bisher nicht über die Lippen.

Als Marketinggenie, das via Twitter seine riesige Fangemeinde auf dem Laufenden hält, hinterließ Narendra Modi bisher in der Außenpolitik seinen größten Abdruck. Die Diplomatie deklarierte er zur Chefsache. Schon zur Inauguration hatte er die südasiatischen Staatschefs – darunter seinen pakistanischen Widerpart Nawaz Sharif – nach Neu-Delhi eingeladen. In einer diplomatischen Großoffensive umwarb Modi in der Folge nicht nur Nachbarn wie Sri Lanka, sondern auch asiatische Großmächte wie Japan und vor allem China. Bei der Erdbebenkatastrophe in Nepal lief Indien China den Rang als erster Nothelfer ab. Zum chinesischen Staatschef Xi Jinping knüpfte er bei dessen Visite in Indien – samt Gespräch auf der eigenen Hollywoodschaukel – und einem Gegenbesuch in China persönliche Bande, was sich in chinesischen Investitionen in großem Stil in die marode Infrastruktur Indiens niederschlägt.

Wirtschaftliche Kooperation, nicht Konfrontation, trotz der Grenzkonflikte im Himalaja, so lautet die Devise des indischen Premiers gegenüber dem mächtigen Konkurrenten in Peking. Laut Prognosen wird der indische Tiger den chinesischen Drachen mit einem Wirtschaftswachstum von mehr als sieben Prozent heuer erstmals überflügeln. Im Handelsdefizit gegenüber China klaffte zuletzt hingegen ein Minus von fast 38 Milliarden Dollar. Während seiner zwölf Regierungsjahre in Gujarat hat sich Modi eine Reputation als Wirtschaftsreformer erworben, der es versteht, Investoren anzulocken. Dieses Erfolgsmodell will der Premier auf ganz Indien, den heterogenen Subkontinent, übertragen – bisher mit bescheidenem Erfolg, wie das Magazin „Economist“ in einem Dossier moniert. Den hochfliegenden Erwartungen, so das Fazit, sei er nicht gerecht geworden.

Die wirtschaftlichen Eckdaten, etwa die auf unter fünf Prozent gefallene Inflationsrate, zeigen zwar eine Aufwärtstendenz. Die Liberalisierung als Banner seiner Ära, die versprochene Privatisierung indes seien kaum vorangekommen, merkt das Blatt an. Strukturprobleme sei er nicht entschlossen genug angegangen. Der endemischen Korruption und der überbordenden Bürokratie – zwei Geißeln des Kolonialerbes – sind selbst mit einer absoluten Mehrheit im Unterhaus nur schwer beizukommen, zumal die lang dominierende, oppositionelle Kongress-Partei im Oberhaus die Reformvorhaben hintertreibt.

„Make in India“

An einer vollmundigen PR-Strategie ließ es Modi jedenfalls nicht fehlen. Bereits im Wahlkampf lautete der Tenor: „Gute Tage werden kommen.“ Die Parole „Make in India“soll den Nationalstolz beflügeln und zugleich 100 Millionen neue Jobs schaffen, das Programm der 100 Smart Cities die urbane Mittelschicht stärken.

In Umfragen demonstrieren einstweilen mehr als 60 Prozent ihre Zufriedenheit mit Modi, der als One-Man-Show sein Kabinett in den Schatten stellt. Nachdem ihn die Kongress-Partei als Büttel der Wirtschaftslobby gebrandmarkt hatte, tourte er als Vorkämpfer für die Armen und die Bauern durchs Land. „Politische Führer haben in der Vergangenheit nicht das erreicht, was ich in nur einem Jahr zu Wege gebracht habe“, brüstet er sich. Seine Ära legt er gleich auf zehn Jahre an, für den 75. Jahrestag der Unabhängigkeit 2022 proklamierte er seine Vision vom „indischen Jahrhundert“.

AUF EINEN BLICK

Narendra Modi. Der 64-jährige Sohn eines Teeverkäufers aus Gujarat, langjähriger Premier seines Heimatbundesstaats, erzielte vor einem Jahr bei den Parlamentswahlen in Indien mit der hindu-nationalistischen BJP die absolute Mehrheit. Die Inflation ist seither auf unter fünf Prozent gesunken, das Wirtschaftswachstum auf mehr als sieben Prozent angewachsen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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