Chile: Proteststurm gegen leere Versprechen

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In Santiago machten Zehntausende ihrer Wut wegen nicht eingelöster Reformen im Bildungsbereich Luft. Skandale der Regierenden heizen die Stimmung weiter an.

Und wieder wurde es schmutzig. Schon in den Morgenstunden hatten junge Leute in Chiles Hauptstadt Santiago den Inhalt von Mülltonnen auf mehreren Hauptzugangsstraßen verteilt und angezündet, damit blockierten sie den Verkehr. Danach zogen die Studenten vor das Erziehungsministerium und einen TV-Kanal, bis die Polizei sie mit Tränengas und Wasserwerfern vertrieb.

Die Organisatoren setzten die Zahl der Teilnehmer des Protestmarsches in der Hauptstadt auf 100.000 Menschen an. Die Fortsetzung folgte am Abend, als Vermummte Barrikaden errichteten und, so die Polizei, versuchten, Geschäfte zu plündern. Wieder reagierten die Carabineros mit aller Härte, wieder gab es Verletzte auf beiden Seiten.

Während der vergangenen Wochen sind zwei Studenten bei den Protesten getötet und mehrere andere schwer verletzt worden. Auf Chiles Straßen herrscht die Konfrontation, und bislang konnte nichts den Zorn der Studenten bremsen. Der richtet sich ausgerechnet gegen jene Regierung, die eine Reform der Bildungspolitik versprochen hat, die aber Millionen Familien in die Verschuldung gestürzt hat.

Schlecht gefüllte Staatskassen

Mit kommoder Mehrheit hatte die Sozialistin Michelle Bachelet Ende 2013 ihre Rückkehr ins Präsidentenamt feiern können, ihr größtes Versprechen war eine Reform des Bildungswesens, finanziert durch eine Steuerreform, die zudem das riesige Wohlstandsgefälle mildern sollte.

Doch nun, im zweiten Regierungsjahr, in dem die ehrgeizigen Projekte auf Schiene gesetzt werden sollten, knarzt es im Staatsapparat. Das Land hat schlechte Laune, was nicht allein daran liegt, dass die gesunkenen Rohstoffpreise die Kassen nicht mehr so füllen wie während Bachelets erster Amtszeit von 2006 bis 2010.

Dass 2015 nicht ihr Jahr werden sollte, musste die Präsidentin schon im Jänner erkennen, als ruchbar wurde, dass ihre Schwiegertochter von einer Großbank Millionenkredite bekam, zu denen Normalsterbliche niemals Zugang hätten. Dass Bachelet daraufhin den eigenen Sohn aus dem Staatsdienst feuern musste, half nur partiell. Alsbald wurde eine andere Schmiergeldaffäre publik, die Bachelets politische Gegner traf, die ultrakonservative Partei UDI. Nur Wochen später wurde zudem bekannt, dass Chiles Parlamentarier die höchsten Gehälter aller OECD-Staaten beziehen, in einem Land, dessen große Mehrheit weniger als 600 Euro im Monat verdient.

Bachelet entließ ihr Kabinett

Um den allgemeinen Frust zu dämpfen, entschloss sich Bachelet Anfang des Monats, ihr gesamtes Kabinett zu entlassen. Ihre Mitte-links-Regierung, die einen ideologischen Regenbogen von den Christdemokraten bis zu den Kommunisten umspannt, wurde mit Ministern bestückt, denen größere Kommunikationsfähigkeit zugetraut wurde, allen voran dem Kabinettschef Jorge Burgos.

Dem obliegt es nun, in Zeiten knapperer Budgets, möglichst populäre Reformen einzuleiten – und dabei den Bürgern zu erklären, dass sich wohl nicht all das realisieren lässt, was vor zwei Jahren vollmundig versprochen wurde. Vergangene Woche nun präsentierte Michelle Bachelet ihre Bildungsreform, die ab nächstem Jahr kostenfreien Studienzugang für die 60 Prozent der ärmsten Studenten vorsieht. 2018 soll dieser Anteil auf 70 Prozent steigen, um schließlich 2020 alle Studenten zu erfassen. Doch der Plan, mit Versprechen die Wut zu kühlen, ging vorerst nicht auf. Nur Stunden nach Bachelets Rede brannten wieder Barrikaden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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