Mursi-Todesurteil verschoben: Diplomatie möglicher Grund

Ägyptens ehemaliger Präsident wartet in Haft auf das Urteil des Muftis.
Ägyptens ehemaliger Präsident wartet in Haft auf das Urteil des Muftis.(c) REUTERS
  • Drucken

Das ägyptische Gericht verschob die Entscheidung über das Schicksal des Ex-Präsidenten. Der aktuelle Präsident Sisi reist nach Berlin.

Ein Kairoer Gericht hat die Entscheidung über das Todesurteil gegen den ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi verschoben. Die Richter vertagten die Entschließung auf Dienstag, den 16. Juni. Der Aufschub war für nicht unwahrscheinlich gehalten worden, weil der aktuelle ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi am Dienstabend zu politischen Gesprächen nach Berlin reisen wird.

Eine Bestätigung des Mitte Mai gefällten Todesurteils für den Islamisten hätte den Besuch belasten können. Mursi soll sich Anfang 2011 mit der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah dazu verschworen haben, einen Gefängnisausbruch zu organisieren. Der international heftig kritisierte Richterspruch von Mitte Mai war dem ägyptischen Mufti zur Begutachtung vorgelegt worden. Das Militär unter Sisi hatte Mursi einst gestürzt

Menschenrechte immer mehr missachtet

Seit dem Sturz Mursis durch das Militär im Juli 2013 werden in Ägypten die Menschenrechte stärker als zuvor missachtet. Dies beklagen lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen. Staatschef ist zurzeit der Ex-General Abdel Fattah al-Sisi.

An der Kritik der Menschenrechtsorganisationen ändert sich auch nichts dadurch, dass zuletzt 17 Aktivisten vom Vorwurf des illegalen Demonstrierens freigesprochen wurden, nachdem sie auf dem Kairoer Tahrir-Platz Blumen für die Toten des Arabischen Frühlings von 2011 niedergelegt hatten. Angeprangert wird etwa die massenhafte Inhaftierung von Regimekritikern.

Häftlinge sterben durch Folter

Bis zu 40.000 Menschen sind laut Menschenrechtsorganisationen aus politischen Gründen inhaftiert. Viele werden misshandelt, des Öfteren sterben Häftlinge unter Folter. Gerichtsverfahren fußen auf fragwürdigen Anklagen, die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten sind beschnitten. Massenhafte Todesurteile in politischen Prozessen sind häufig.

Opfer sind vor allem Islamisten, überwiegend Mitglieder der verbotenen Muslimbruderschaft - ganz gleich ob es sich bei ihnen um gemäßigte oder militante Personen handelt. Aber auch linke und liberale Kritiker der bestehenden Ordnung geraten in die Maschinerie des Sicherheitsapparats und der Justiz. Der koptische Journalist und Menschenrechtsaktivist Wael Eskandar aus Kairo erklärte erst kürzlich, dass alle Regierungskritiker, die er kenne und keine Kopten seien, sich in Haft befänden.

Darüber hinaus sind die politischen Rechte der Bürger stark eingeschränkt. Demonstrationen sind praktisch verboten, und gegen unbewaffnete Demonstranten können Schusswaffen eingesetzt werden. Das Streikrecht ist aufgehoben, Wahlen sind nicht wirklich frei, die wenigen kritischen Medien werden mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und Gerichtsprozessen eingeschüchtert.

Lammert sagte Treffen ab

Im Vorfeld von Sisis Besuch in Berlin sorgte der deutschen Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) für einen Eklat, als er ein bereits geplantes Treffen mit Sisi absagte - unter Verweis auf die "systematische Verfolgung oppositioneller Gruppen" und "eine unfassbare Anzahl von Todesurteilen". Die Deutsche Bundesregierung hielt dagegen an ihrer Einladung fest, am Mittwoch empfängt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Gast aus Kairo. Bei der Suche nach Lösungen der zahlreichen Konflikte in der arabischen Welt sei "ein enger Austausch mit Ägypten unverzichtbar", erklärte Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

(APA/dpa/Reuters)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Kurz sieht in Ägypten Gegenmodell zum Kalifat

Außenminister Kurz lotet in Kairo die Kooperation mit dem Regime Abdel Fatah al-Sisis aus, das mit eiserner Hand das Land im Griff hält. Neuerdings schwebt der Führung eine neue Revolution vor: eine „Revolution des Islam“.
AM KURZ IN �GYPTEN: KURZ / AL-TAYEB
Außenpolitik

Kurz verteidigt Treffen mit Ägyptens Autokraten al-Sisi

Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, zu seinem Besuch in Ägypten: „Was ist unsere Alternative?“

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.