"Regieren entzaubert Rechtspopulisten nicht"

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Der deutsche Politologe Timo Lochocki im Gespräch über das Auf und Ab von rechtspopulistischen Parteien in Europa. Seiner These zufolge erleben Rechtspopulisten in wirtschaftlich guten Zeiten einen Aufschwung.

Die Presse: Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) sorgt derzeit mit Grabenkämpfen für Schlagzeilen. Ist das das erste Anzeichen dafür, dass eine rechtspopulistische Partei in Deutschland nur eine bedingte Lebensdauer haben kann?

Timo Lochocki: Da läutet man das Totenglöckchen viel zu früh. Die aktuellen Debatten in der AfD sind destruktiv, aber auf keinen Fall der Sargnagel. Dass sich Fundis und Realos einer Partei am Anfang bekriegen, hat sich in jeder rechtspopulistischen, rechtskonservativen Partei in Westeuropa abgespielt. Dabei sind bei der AfD die Unterschiede zwischen den beiden Flügeln ganz marginal. Hier geht es um persönliche Eitelkeiten.

In Ländern wie Österreich und Frankreich gibt es seit Jahrzehnten eine rechtspopulistische Partei, in Deutschland ist das ein neues Phänomen. Warum?

Erstens haben CDU/CSU die wichtigsten Themen abgegriffen, die rechtspopulistische Parteien ausmachen – etwa die konservativen Standpunkte in Migrations- und Integrationsfragen. Das ist jetzt nicht mehr gegeben, die Union steht eindeutig in der Mitte. Nur in der Euro-Frage steht Wolfgang Schäuble klar auf einer deutschnationalen Linie, die von der Bevölkerung unterstützt wird. Damit gräbt er der AfD und Bernd Lucke(AfD-Mitbegründer; Anm.) das wichtigste Thema ab. Es ist kein Zufall, dass Lucke gerade jetzt Probleme hat. Zweitens hat sich die Haltung deutscher Leitmedien, dass über diese Parteien nicht geschrieben wird, verändert. „FAZ“, „Welt“, „Bild“ schreiben nicht nur über die AfD, sondern bis vor Kurzem auch mit Sympathien.

Das heißt auch, dass die jüngere deutsche Vergangenheit keine Rolle bei der Bildung rechtspopulistischer Parteien gespielt hat?

Es gibt in Deutschland so gut wie keinen Zusammenhang zwischen der NS-Zeit und dem Auf und Ab von rechtspopulistischen Parteien. Die NS-Zeit hat deutsche „Eliten“ und Leitmedien gegenüber Thematiken zu Rechtsextremismus sensibilisiert – aber das gilt nicht für rechtskonservative, demokratische Standpunkte, wie sie etwa das Gros der AfD vertritt. Ein durchschnittlicher AfD-Wähler wird keinen Zusammenhang zwischen Hitler, Holocaust, Bernd Lucke und der aktuellen Griechenland-Politik herstellen.

Was haben rechtspopulistische Parteien auf europäischer Ebene gemeinsam? Feindbild Euro oder Feindbild Islam?

Es geht vielmehr darum, dass sich diese Parteien als alleinige Verteidiger der Nation sehen. Allen gemein ist ein nostalgischer Neonationalismus: Man grenzt sich nicht mehr gegenüber anderen Staaten ab, sondern gegenüber den vermeintlichen Eindringlingen von außen. Das kann die EU sein, die Zuwanderer oder auch der Islam. Man definiert also eine symbolische Bedrohung auf den Kern der Nation. Die französischen Rechtspopulisten definieren den Islam als Bedrohung, weil die Laïcité wichtig ist. In Norwegen oder Schweden werden Zuwanderer als Bedrohung für den Wohlfahrtsstaat gebrandmarkt. Und für deutsche Rechtspopulisten gilt Griechenland als eine Bedrohung für deutsche Effizienz, deutsche Gründlichkeit, deutsche Disziplin.

Welche Rolle spielt also der Euro?

Der Euro wird nicht als ökonomisches Thema wahrgenommen, sondern als Generalangriff auf die Effizienz der deutschen Wirtschaft. Salopp gesagt, hätten die konservativen Deutschen überhaupt kein Problem damit, Großbritannien 100 Milliarden Euro zu leihen. Im Gegensatz zu Großbritannien glaubt man bei Griechenland: Dort arbeitet man nichts.

Eine Ihrer Thesen ist, dass rechtspopulistische Parteien dann Zulauf bekommen, wenn es der Wirtschaft gut geht. Ökonomisch schlechte Zeiten machen Rechtspopulisten verwundbar...

Rechtspopulisten haben fast keine sozialpolitischen Programme, die die Wähler überzeugen würden. Der Wähler weiß, dass bei Wohlfahrtsstaat und Renten die etablierten Parteien mehr zu sagen haben. Zudem haben die Bürger in wirtschaftlich guten Zeiten genug Zeit, um sich um die Nation zu sorgen. Sie können sagen: „Die Rentenreform ist jetzt nicht so wichtig, weil mein Land gerade von Muslimen belagert wird.“ Wenn aber, sagen wir, Österreich fünf Jahre lang in eine ökonomische Depression verfällt, dann wenden sich die Wähler von den Rechtspopulisten ab. Dann sind andere Probleme wichtiger.

Kann man diese Beobachtung für Europa generalisieren?

Ja. In Frankreich, Österreich und der Schweiz sind Rechtspopulisten schon lang Teil des Establishments. Hier haben sie auch in ökonomischen Fragen Schwerpunkte gesetzt. Wenn aber die Wähler diese Parteien evaluieren, stehen trotzdem die Migrationsfragen im Vordergrund. Und schauen Sie sich die Staaten an, die am meisten von der Eurokrise betroffen waren: Irland, Portugal, Spanien, Italien und Griechenland. In Portugal, Irland und Spanien gibt es keine rechtspopulistische Partei. In Italien existiert eine solche Partei seit 30 Jahren, das ist kein Phänomen der Krise. Und in Griechenland stehen die Rechtspopulisten bei fünf Prozent. In Nordeuropa hingegen, in den Geberländern, sind die Rechtspopulisten im Vormarsch.

Wenn die Wähler einer rechtspopulistischen Partei Regierungsverantwortung übertragen, bewegt die Partei sich dann automatisch in Richtung Mitte?

Da gibt es kein Muster. Das Regieren würde die Rechtspopulisten nicht automatisch entzaubern. Es gibt diese Fälle, sie decken aber keinen generellen Trend.

ZUR PERSON

Der Politologe Timo Lochocki forscht über rechtspopulistische Parteien in Europa. Er ist Fellow bei der US-amerikanischen Stiftung German Marshall Fund in Berlin und unterrichtet an der Humboldt-Universität zu Berlin. Lochockis Dissertation handelt vom Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa unter jeweils verschiedenen Voraussetzungen. [ GMF ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2015)

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