Viktor Orbáns „primitive“ Plakatschlacht

Hungary´s Prime Minister Orban gestures during a news conference after a meeting with his Slovak counterpart Radicova in Bratislava
Hungary´s Prime Minister Orban gestures during a news conference after a meeting with his Slovak counterpart Radicova in Bratislava(c) REUTERS (RADOVAN STOKLASA)
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Ungarns Premier lässt gegen Flüchtlinge hetzen – und er erwägt, die Grenze zu Serbien dichtzumachen.

Budapest. „Wenn du nach Ungarn kommst, darfst du den Ungarn ihre Arbeit nicht nehmen!“ Diese in großen Lettern gedruckte Aufschrift springt einem derzeit in ganz Ungarn von Plakatwänden ins Auge. Wer aber glaubt, dass die Plakatkampagne von der rechtsradikalen Partei Jobbik initiiert wurde, der irrt sich. Die Aufschrift wurde von den Spindoktoren der Regierung von Viktor Orbán ersonnen. Damit nicht genug, werden noch zwei weitere „Mahnungen“ an die Adresse potenzieller Einwanderer ausgesprochen: „Wenn du nach Ungarn kommst, musst du unsere Gesetze einhalten!“ und „Wenn du nach Ungarn kommst, musst du unsere Kultur respektieren!“ – in ungarischer Sprache und in der Du-Form.

Die Plakatkampagne ist Teil einer heftig umstrittenen Volksbefragung, die von der Regierung zum Thema „Einwanderung und Terrorismus“ initiiert wurde. Mit der aus zwölf Fragen bestehenden „Nationalen Konsultation“ verfolgt die Regierung das Ziel, eine Legitimierung zur Verschärfung der Einwanderungsgesetze zu erhalten. Was jedoch bei vielen Ungarn Unmut hervorruft, ist der Umstand, dass das Gros der Fragen manipulativ formuliert ist. Die Plakatkampagne brachte das Fass nun vollends zum Überlaufen.

Zielt Orbán auf Jobbik-Sympathisanten?

Selbst vielen regierungsnahen Medien stößt die Kampagne sauer auf. Die Attribute, die den Plakaten zugeschrieben werden, reichen von „einfältig“ über „primitiv“ bis zu „menschenunwürdig“. Kritiker reiben sich nicht nur daran, dass die Plakate auf Ungarisch und in herablassender Du-Form formuliert sind. Für Unverständnis sorgt auch, dass sie weitab der Flüchtlingslager angebracht wurden. Viele Beobachter hegen nun den Verdacht, dass die Regierung gar nicht die Flüchtlinge im Visier hat. Vielmehr wolle sie an die „primitiven Instinkte“ der Gesellschaft appellieren, um der rechtsradikalen Partei Jobbik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Jobbik ist der Regierungspartei Fidesz in den Umfragen gefährlich nahe gekommen. Dem könnte der Fidesz nun mit „Jobbik-Themen“, darunter die Thematisierung der Todesstrafe durch Orbán, gegenzusteuern versuchen. Dass die Themen zur Realität wenig Bezug haben, tut offenbar nichts zur Sache. Ungarn ist kein Migrationsstaat, es gibt kaum Einwanderer im Land. Und die Todesstrafe verstößt gegen EU-Recht.

Die linksliberale Partei Gemeinsam rief ihre Aktivisten nun dazu auf, die Regierungsplakate zu übermalen. Die Witzpartei Ungarischer Hund mit zwei Schwänzen initiierte derweil eine Spendensammelaktion, um im ganzen Land Gegenplakate anbringen zu können.

Eine eigene Plakatkampagne wird auch das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) anlässlich des Internationalen Flüchtlingstages am 20. Juni in den Budapester Metrostationen starten. Auf den Plakaten werden Flüchtlinge zu sehen sein, die in Ungarn leben und arbeiten. Laut UNHCR ist ihre eigene Plakatkampagne aber keine Reaktion auf jene der Regierung Orbán, das zeitliche Zusammenfallen der beiden sei Zufall.

Und was sagt Orbán zu dem Thema? Im staatlichen Sender Kossuth Rádió erklärte er gestern, dass die Plakate sich vor allem an Schlepper richten würden. Diese sollten den Flüchtlingen ausrichten: Ungarn sei jener Ort, um den sie einen Bogen machen sollten. Orbán fügte hinzu, dass sein Land den Einwanderern keine Arbeit geben könne, mithin sei das Thema Zuwanderung in Ungarn „völlig lebensfern“. Bereits früher hatte Justizminister László Trócsányi erklärt, die Regierung Orbán könne schon deshalb „keine Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen, weil sie sich um den sozialen Anschluss von 800.000 Zigeunern kümmern muss“.

Orbáns und sein Fidesz wollen die ungarischen Einwanderungsgesetze auch verschärfen, weil die Zahl der Flüchtlinge in Ungarn heuer stark gestiegen ist. Bis zum 1. Juni kamen mehr als 50.000 Flüchtlinge ins Land. Das sind zwölf Mal so viele Flüchtlinge wie in den ersten fünf Monaten im Rekordjahr 2014. Orbán erklärte dann gestern auch, dass er die Schließung der ungarischen Grenze zu Serbien erwägt: „Wir halten es nicht für richtig, dass sie uns die Flüchtlinge schicken. [...] Wir ziehen alle Optionen in Betracht, bis zu einer vollständigen Schließung der Grenze.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2015)

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