Tschetschenen-Präsident: "Warum hätte ich Israilow töten sollen?"

Ramsan Kadyrow
Ramsan Kadyrow(c) AP (MUSA SADULAYEV)
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Ramsan Kadyrow über Gott, Putin und die Frauen. Er spricht im Interview mit der "Presse am Sonntag" auch erstmals über den Tschetschenen-Mord in Wien. Eine angeblich von ihm selbst zusammengestellte Todesliste bezeichnet er als "Schwachsinn".

Das Klicken der Türschnalle reicht, damit die Beamten von ihren Sitzen aufspringen. Die Sekretärinnen frieren ihre Miene ein, verstecken das Mobiltelefon in den Händen und diese artig hinter dem Rücken, um den Ernst der Lage zu unterstreichen. Der ist anscheinend immer da, wenn jemand aus dem innersten Kreis des Kadyrow-Clans in die Schaltzentrale seines Chefs Ramsan Kadyrow schreitet. Vor dem mächtigen „Ramses“, wie der tschetschenische Präsident genannt wird, hat man ängstlichen Respekt oder gar respektvolle Angst. Über Jahre hatte der heute 32-jährige Tschetschene eine berüchtigte Sicherheitstruppe geleitet und aufseiten der Russen die tschetschenischen Separatisten und extremistischen Warlords bekämpft.

Vor zwei Jahren ließ ihn Moskau zum Republikspräsidenten wählen, nachdem sein Vater Achmat 2004 als Präsident ermordet worden war. Auch heute hat der Besucher mehrere Sicherheitszonen zu durchlaufen, ehe sich die weitläufige Gartenanlage auftut, auf die Kadyrow aus seinem Herrschaftssitz in der Hauptstadt Grosny zu blicken beliebt. Todmüde wirkt er. Vielleicht auch deshalb nicht ganz gelöst. Dabei müsste er es sein. Am 16. April hat der Kreml das Ende der „antiterroristischen Operation“ auf tschetschenischem Territorium beschlossen. Ein Freudenfest für Kadyrow, wird seine Republik damit doch nach acht Jahren Ausnahmezustand in die Normalität entlassen.

Viele in Tschetschenien sind Kadyrow dankbar. Aber der Weg zur Normalität ist langwierig. Noch bleiben Leute spurlos verschwunden, verschleppt von Separatisten, den Moskauer Militärs oder Kadyrows Regime – von wem genau, wissen wohl nur wenige. Kadyrow würde selbst im Ausland Gegner beseitigen, wird kolportiert. Auch der Wiener Mord an dem Exiltschetschenen Umar Israilov, der nach seinem Rebellenkampf gegen Moskau später als Kadyrows Leibwächter fungierte, wird einer der Versionen zufolge Kadyrow angelastet. Israilow wollte vor Gericht in Straßburg zur Folterpraxis Kadyrows aussagen. Erstmals gegenüber einer westlichen Zeitung nimmt Kadyrow im vorliegenden Interview für die „Presse am Sonntag“ auch dazu Stellung und spricht von purem Unsinn, was die Mordvorwürfe betrifft.

Kadyrows Image ist durchwachsen. Geprägt von Brutalität, aber auch von Frieden und Wiederaufbau – und nicht zuletzt von eigenwilligen Vorlieben: Für den Boxklub etwa, in dem er groß wurde und der immer noch ein Steckenpferd ist. Oder für die Frauen, die er „unbeschreiblich“ liebe, wie Kadyrow zu Beginn des Gesprächs zu Protokoll gibt. Selbst die Leidenschaft für Polygamie ist ihm nicht fremd. Frauen seien schließlich zur Freude des Mannes da – und zum Gebären. Nur einer steht über all den vergänglichen Freuden und ist das A und O in Kadyrows Leben: Allah. Eine riesige Moschee hat Kadyrow ihm in Grosny errichtet und möchte die islamische Strenge auch mit der Kopftuchpflicht für Frauen und dem Kampf gegen Alkohol und Nikotin gelebt wissen.

Interview:

Gott meine es gut mit Russland und seiner Nordkaukasusrepublik, ist Kadyrow überzeugt. Denn Russlands Premier Wladimir Putin ist Ihren Worten zufolge ein „Geschenk Gottes“. Was ist dann Ramsan Kadyrow?

Ramsan Kadyrow: Ein Mann, der die Aufhebung des Status von Tschetschenien als „Zone der Durchführung antiterroristischer Aktivitäten“ als Erfolg verbuchen kann. Nun steht der Abzug der russischen Soldaten bevor. Ein gewisser Teil bleibt aber zur Sicherung der Staatsgrenze mit Georgien.

Wer sind eigentlich jene, die keine Normalisierung wollen?

Unter den Rebellen hier sind Leute aus 50 Staaten aufgetaucht, die gekommen sind, um Russland zu zerstören. Unser Volk hat viel verloren. Aber gemeinsam mit der russischen Armee und den russischen Geheimdiensten haben wir den Krieg gewonnen.

Wie will man mit Tschetschenen umgehen, die während des Krieges verurteilt wurden?

Wir bitten Moskau, jene, die am Anfang des Krieges kein schweres Verbrechen begangen haben, zu amnestieren. Unsere Republik hatte ja soziale Probleme und wimmelte vor bewaffneten Banditen. Wenn ein Mensch, der all das erlebt hat, ein Verbrechen beging, ist das mehr die Schuld des Staates, der die Sicherheit nicht gewährleistet hat. Wir sind Kinder des Krieges. Schulen haben zu Kriegsbeginn kaum existiert, Studium gab es nicht, keine Bildung, keine Gesundheitsversorgung.

Welche Werte sollten jungen Tschetschenen jetzt beigebracht werden?

Würde, Gewissen und Ehrgefühl. Es braucht ein geistig-ethisches Projekt – und die Achtung vor den Älteren.

Offenbar auch vor Gott, dem Sie eine große Moschee errichten ließen. Was bedeutet Glaube für Sie?

Alles. Ich will beweisen, dass Muslime weder Mörder noch Wahhabiten oder Terroristen sind – und dass es sich um keinen religiösen Krieg gehandelt hat.

Folglich sehen Sie auch Ihre Präsidentschaft als göttliche Mission?

Ja. Ich habe mich vor dem harten Gericht des Allerhöchsten zu verantworten. Aber ich plädiere nicht für die Einführung der Scharia, denn unser Staat ist laizistisch.

Dabei geraten Sie in einen Widerspruch: Denn Sie sympathisieren mit der Polygamie, die in Russland verboten ist, und bestehen auf Kopftuchpflicht für Frauen.

Wir sagen ja auch nichts, wenn Christen in die Kathedrale gehen und kein Kopftuch aufsetzen und sich nicht normal anziehen. Anderswo laufen die Leute nackt herum, oder die Frauen prostituieren sich und Geschlechter ändern die sexuelle Orientierung. Es ist ja ein Hohn, wenn ein Mann als Frau gebraucht wird. Bei uns sind Frauen etwas Heiliges. Weil das Volk gegen die Prostitution, gegen Klubs für Homosexuelle und gegen das Glücksspiel ist, muss es darin von Staat und Religion unterstützt werden.

Tschetschenien ist Nettoempfänger von Geldtransfers aus Moskau. Wenn – aufgrund der Wirtschaftskrise – die Zahlungen zurückgehen, ist es nicht dann Zeit für die selbstständige Förderung von tschetschenischem Öl, die Moskau ja untersagt?

Experten prophezeien, dass die nachgewiesenen Ölvorräte bei uns in zehn Jahren enden. Der russische Konzern Rosneft soll das Öl verarbeiten. Wenn wir aber einen größeren Anteil von den Ölerlösen bekämen, würde es bei der Lösung der sozialökonomischen Probleme helfen.

Wir haben ein Entwicklungsprogramm bis 2012. Bis dahin werden wir ein höheres Budget haben als heute. Es finden sich immer mehr Investoren, in fünf bis sieben Jahren sind wir Nettozahler nach Moskau.

Vereinzelt kehren Leute aus der tschetschenischen Diaspora – auch aus Österreich – zurück. Was können Sie ihnen materiell und an Sicherheit garantieren?

50 Prozent der tschetschenischen Flüchtlinge in Österreich sind ausgewandert, um in einem reichen Land schnell gutes Geld zu verdienen. Daher haben sie hier ihre Wohnungen verkauft. Diese Leute wurden aber von jenen betrogen, die ihre Emigration organisierten. Heute leben sie in Österreich schlechter als bei uns. Viele fuhren auch dorthin zur Krankenbehandlung. Andere flüchteten vor dem Krieg. Und manche Abenteurer schlugen für sich Asyl heraus, indem sie Falsches über unsere Realität erzählten. Ich habe mich mit ihnen wegen ihrer Rückkehr zu beschäftigen begonnen. Und jeder, mit dem ich sprach, sagte, dass verschiedene Geheimdienste sie für ihre Ziele nützen wollen.

Welche Sicherheit können Sie Rückkehrern garantieren?

Bei uns lebt eine Million an Menschen. Die Kinder lernen, tanzen, spielen Fußball. Es ist ein normales Leben in Gang. Natürlich gibt es Kriminalität – aber das gibt es überall. Und wir müssen sie bekämpfen. Alle wollen zurückkommen, aber wir können sie nur nach und nach mit Wohnraum versorgen. Im Vorjahr haben wir 1400 Wohnungen bereitgestellt. Manche meinen übrigens, man lasse sie nicht zurück, weil sie beim Asylantrag angaben, dass man sie in Tschetschenien umbringt und Russland und Kadyrow schlecht sind.

In Österreich wurde im Jänner ein Tschetschene ermordet. Es hieß dann, dass es eine Todesliste...

...von 500 Leuten gebe, zu denen Kadyrow seine Leute schickt. Schwachsinn! Der das behauptete (ein gewisser Artur K., der die österreichischen Behörden angeblich von dem bevorstehenden Mord informierte, Anm.), ist bereits nach Hause gefahren, nachdem er erklärt hatte, dass diese Information von Udugow und den Geheimdiensten, die mit diesen Leuten zusammenarbeiten, stammt. (Mowladi Udugow ist Ex-Mitglied der antirussischen Regierung in Tschetschenien und nun Vertreter des „Kaukasischen Emirats“, einer staatsübergreifenden Islamistenvereinigung, Anm.) Der ermordete Mann, von dem Sie sprechen – wie heißt er?

Umar Israilov.

Genau, Israilov. Ich habe ihn amnestiert und ihm ein Haus gebaut. Er hat bei mir als Leibwächter gearbeitet und mich treu beschützt. Später sagte er, er wandere mit Familie aus.

Sie hatten weiter Kontakt mit Israilov?

Ja, in Sachen Rückkehr. Ich war bereit zu helfen. Dieser Mann machte politische Aussagen, um Asyl zu erhalten. Auch sein Vater reiste aus und erklärte, dass ich seinen Sohn gefoltert hätte. Das Schicksal seines Sohnes hatte damals tatsächlich in meinen Händen gelegen, aber ich habe ihn seinem Vater zurückgegeben. Warum hätte ich ihn töten sollen? In Österreich leben auch andere Tschetschenen, etwa der frühere Mufti von Itschkeria (so nennen die Vertreter der separatistischen Gegenregierung Tschetschenien, Anm.). Sollen diese Feiglinge dort sitzen und Schwachsinn reden. Es gibt gewisse Gruppierungen von Leuten, die sich Bärte wachsen lassen und sich Emire unserer Regionen nennen. Sie haben mitten in Österreich unser Tschetschenien aufgeteilt und Emirate ausgerufen. Das wissen alle Geheimdienste. Zurück zu Israilov: Er beriet sich mit uns über eine Rückkehr.

Wie verlief die Kommunikation?

Es begann ganz normal: Ich fragte, warum er diese Aussagen machte und noch macht. Er sagte, er müsse das sagen, denn sonst würde niemand verstehen, warum er einen Asylantrag stellt. Da sagte ich zu Israilov: „Schreib doch nicht so einen Blödsinn. Du weißt, dass ich dich gerettet habe!“ Israilov wollte darüber nicht am Telefon sprechen und schlug vor, dass ich ihm jemanden schicke, dem er erklären würde, was in Wirklichkeit vor sich geht. Danach hat man ihn ermordet.

Er bat also darum, sich mit einem Ihrer Abgesandten zu treffen?

Ja. Und dieser Mann, der zu ihm hätte gehen sollen, behauptet jetzt, dass Udugow und all diese Leute ihm und seiner Familie gedroht haben und ihn so gezwungen haben, mich mit dieser Todesliste, die ich angeblich erstellt hätte, anschwärzen.

Wem nützt der Mord Ihrer Meinung nach?

Jenen Leuten, die den Krieg angezettelt haben. Man hat diesen Mord mitten im Zentrum von Wien ausgeführt, damit das Thema hochgespielt wird und damit die Leute, die nach Hause zurückkehren wollen, eingeschüchtert werden.

In letzter Zeit wurden aber mehrere Tschetschenen außerhalb der Republik ermordet. Russische Medien schrieben, dass der Kreml die Tschetschenisierung des Konflikts wollte, nun aber umgekehrt, etwa durch Morde in Moskau, die Tschetschenisierung Russlands vor sich gehe.

Solche Artikel zeigen, dass einige Medien nicht wissen, was es heißt, Bürger Russlands zu sein. Alle Verbrechen werden einmal aufgedeckt. Man hat mir auch vorgeworfen, ich hätte Anna Politkowskaja (Tschetschenienexpertin, Anm.) umgebracht. Dann aber hat man andere Leute – die wahren Täter – ausfindig gemacht. Auch andere Medien haben versucht, mir etwas anzuhängen und dann widerrufen. Ich bin mehr Patriot als jeder andere. Ich habe im Krieg gekämpft, Terroristen aufgegriffen, Verhandlungen mit Dutzenden Feldkommandanten geführt, damit sie ihre Waffen niederlegen. Die Aufgabe war, den Krieg zu beenden. Man hat mir den Titel „Held Russlands“ nicht wegen etwaiger Morde gegeben. Weshalb sollte ich jetzt jemanden töten? Die zuletzt Ermordeten hatten Verbrechen begangen, dann wurden sie von jemandem benutzt und schließlich wieder fallen gelassen. So hat man sie gebrochen. Und dann beginnt man das Motiv auf Kadyrow abzuwälzen.

Menschenrechtsgruppen beklagen, dass Mütter, die ihre verschwundenen Söhne suchen, mit ihren Anliegen nicht zu Ihnen vordringen können.

Ich habe mich mit einzelnen Müttern getroffen und wollte auch ein kollektives Treffen, habe es aber nicht einberufen, weil ich den Leidtragenden gegenwärtig nicht versprechen kann, dass alle Verschwundenen gefunden werden können. Ich verspreche nur, was ich auch einhalten kann. Die Verschwundenen sind das schmerzlichste Problem bei uns, und ich vergesse keine Stunde darauf.

Wie wird Tschetschenien in zehn Jahren aussehen?

Eine blühende Republik mit den sympathischsten Bürgern der Welt.

Werden Sie dann noch Präsident sein?

Ich will das dann nicht mehr sein. Ich erledige noch einige Aufgaben, bis sich alles normalisiert hat, und dann mache ich was anderes. Ich bin noch jung, will leben, die Welt sehen und mir und meiner Familie Zeit widmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2009)

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