Protestwelle: Der Mittelamerikanische Frühling

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In Honduras, Guatemala und Nicaragua demonstrieren immer mehr Menschen gegen Korruption und Kriminalität. Wie im Arabischen Frühling müssen die Machtcliquen um ihre Pfründe fürchten.

Buenos Aires. Der Funke sprang via Facebook über. Er entzündete jene tausenden Fackeln, die nachts durch Tegucigalpa und San Pedro Sula getragen werden, von Bürgern, die genug haben. Die es nicht mehr akzeptieren wollen, von Drogenbanden bedroht und von korrupten Eliten ausgeplündert zu werden. Durch Zentralamerika weht dieser Tage der Geist des Arabischen Frühlings.

In Guatemala, Honduras und Nicaragua marschieren die Menschen, und bald könnte die Protestwelle auch El Salvador erfassen. Wie einst in Tunis und Kairo nahm die Bewegung ihren Anfang auf Computern und Smartphones junger Leute aus der Mittelklasse, die über die sozialen Netze Gleichgesinnte mobilisieren und die traditionellen Machtcliquen jäh überraschten.

Ins Rollen kam die Welle Ende April, als zwei Studentinnen zum Protest vor Guatemalas Regierungspalast aufriefen. Es waren Durchstechereien beim Zoll aufgeflogen, ein enger Vertrauter der Vizepräsidentin Roxana Baldetti soll Millionen Dollar veruntreut haben. Früher wäre so etwas kaum publik geworden, denn TV-Kanäle und Zeitungen gehören zum festen Inventar der Machtkartelle aus wenigen Familien. Doch nun, virtuell mobilisiert, marschierten Tausende gegen den Präsidenten Otto Pérez Molina.

Angeschlagener Präsident

Die Popularität des Ex-Offiziers ist in seinem letzten Amtsjahr dermaßen ramponiert, dass nun diskutiert wird, ob er direkt nach den Präsidentschaftswahlen am 6. September sein Amt abgeben soll. Eigentlich dauert das Mandat bis Ende Jänner. Die Märsche zehntausender Bürger, die nun jeden Samstag durch alle wichtigen Städte ziehen, ebbten auch nicht ab, als die Vizepräsidentin Ende Mai zurücktrat.

Es dauerte nicht lange, bis auch in Guatemalas südöstlichem Nachbarland Honduras der Unmut ausbrach. Ausgelöst von einem Medienbericht über das Verschwinden von etwa 200 Millionen Dollar, ausgerechnet aus dem ohnehin chronisch unterfinanzierten öffentlichen Gesundheitssystem eines Landes, dessen Bevölkerungsmehrheit in extremer Armut lebt.

Die gestohlenen Gelder sollen über Scheinfirmen in die Kassen des Partido Nacional geflossen sein, der das Land seit dem Sturz des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya 2009 regiert. Erschrocken räumte der im Vorjahr angetretene Präsident, Juan Orlando Hernández, ein, dass seine Partei Spenden dubioser Provenienz bekommen habe. Er versicherte jedoch, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Was die Bürger davon halten, manifestieren sie jeden Freitagabend, mit Fackeln in den Händen.

Zu den ersten Umzügen im Mai waren rund 7000 Bürger erschienen. „Nehmen wir an, alle die da teilnahmen, wären Teil des Raubzugs gewesen, dann hätte jeder der 7000 Leute 47000 Dollar mitgenommen. Das ist ein Wahnsinn“, schimpft Ariel Varela, ein 34-jähriger Familienvater, der bisher keinerlei politischer Aktivität nachgegangen ist. „Dieser Raub ist skandalös, nicht nur wegen der Summe an sich, sondern auch wegen der Menge der Honduraner, denen die einfachsten Medikamente vorenthalten wurden. In unseren Kliniken gibt es nicht mal Paracetamol!“

Nach Schätzungen war der Versorgungsmangel in Spitälern und Ambulatorien für mindestens 3000 Todesfälle verantwortlich. „Honduras wird erst einen Frühling erleben, wenn wir diesen Präsidenten zum Rücktritt gedrängt haben“, sagt Varela. Hernández hatte erst kürzlich die lateinamerikanische Tradition aufgegriffen, das Höchstgericht neu zu besetzen. Prompt erlaubten die neuen Richter nun die zuvor verbotene Wiederwahl des Staatsoberhauptes.

Während die Märsche immer weiter anwachsen, nähren neue Skandale den allgemeinen Unmut. Ende Mai nahmen Fahnder der US-Drogenbehörde DEA auf Haiti den Honduraner Fabio Lobo fest, mit fünf Kilogramm Kokain im Gepäck. Er ist der Erstgeborene des Präsidenten Porfirio Lobo, der 2010 unter internationalen Protesten den geschassten Manuel Zelaya abgelöst hatte. Dem inzwischen nach New York verfrachteten Filius werfen die US-Behörden vor, zwischen 2009 und 2014 Teil einer Bande gewesen zu sein, die Rauschgift in die USA lieferte, just während sein Vater das von brutalen Kämpfen der Drogengangs ausgeblutete Land regierte.

Schlachtfeld der Drogenkartelle

Wie üblich hatte Porfirio Lobo den US-Partnern seine volle Unterstützung beim Kampf gegen die Drogen zugesichert. Dass es nun seinen eigenen Sohn traf, quittierten die US-Fahnder mit Schulterzucken. Honduras ist seit Jahren Schlachtfeld der mexikanischen Kartelle. San Pedro Sula, die zweitgrößte Stadt des Landes, verzeichnet seit vier Jahren die höchste Mordrate der Welt.

Korruption und Kriminalität quälen auch die Menschen in Nicaragua, wo ebenfalls Protestmärsche stattfinden. Vorigen Samstag zogen 15.000 Bürger, vor allem Bauern, durch die Stadt Juigalpa. Ihr Protest richtet sich – noch – vor allem gegen den Kanal, den der chinesische Konzern HKND durch das ärmste Binnenland Amerikas treibt. Am Pazifik wurde bereits mit den ersten Erdbewegungen begonnen, 2019 soll die von Umweltschützern heftig kritisierte Wasserstraße passierbar sein. Tausende Campesinos verweigern sich der Zwangsenteignung ihrer Ländereien und lehnen die angebotenen Entschädigungen der sandinistischen Regierung als viel zu niedrig ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2015)

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