Litauen fordert politische Isolation Russlands

(c) REUTERS (CARLO ALLEGRI)
  • Drucken

Litauens Außenminister Linkevičius über russische Provokation, Propaganda als Waffe und warum die Nato Atomwaffen in Europa behalten muss.

Die Presse: Die USA wollen schweres Kriegsgerät und Soldaten in Osteuropa, auch in Litauen, stationieren. Wie groß schätzen Sie die Gefahr einer russischen Aggression gegen Ihr Land ein?

Linas Antanas Linkevičius: Wir sollten daraus keine große Geschichte machen, das ist nichts Neues. Beim Nato-Gipfel in Wales ist bereits entschieden worden, dass die Nato ihre Präsenz in Osteuropa erhöht. Dieser Prozess setzt sich fort. Das ist nicht gegen irgendjemanden gerichtet, sondern dient nur der Stärkung unserer Sicherheit.

Also: Wie groß ist die Bedrohung?

In konventionellem Sinne ist sie wahrscheinlich nicht sehr groß. Ich glaube nicht, dass es klug wäre, die Nato herauszufordern. Aber es gibt leider neue Methoden, die vor einiger Zeit noch gar nicht in Betracht gezogen wurden. Wir können das hybride Bedrohung nennen. Da geht es um Energiesicherheit, Cyber-Verteidigung, strategische Kommunikation und Information, denn auch Propaganda und das Verbreiten von Lügen sind Waffen. Um direkt auf Ihre Frage zu antworten: Fühlen wir uns bedroht? Sind wir ungeschützt? Ja, das sind wir. Im Sinne von Informationen zum Beispiel. Vor allem, was die russischsprachige Bevölkerung betrifft.

Wie anfällig ist die russische Minderheit in Litauen für Agitationen?

Sie sind wirklich loyal unserem Land gegenüber, sie sind litauische Staatsbürger. Es ist schwierig, sie zu manipulieren. Aber trotzdem: Vor allem das russische Staatsfernsehen hat ein Informationsmonopol. Man darf die Gefahr nicht unterschätzen, die von so etwas ausgeht.

Wie reagieren Sie darauf?

Wir müssen mehr tun, um alternative Informationsquellen zu schaffen, um unseren Informationen Nachdruck zu verleihen und den Lügen etwas entgegenzusetzen. Wenn man Lügen zehn, zwanzig Mal wiederholt, werden sie irgendwann als Wahrheit genommen. Darum haben wir uns noch nicht ausreichend gekümmert. Wir verlieren diesen Informationskrieg.

Was genau hat Litauen mit den USA über die Stationierung von Waffen und Soldaten vereinbart?

Das ist noch nicht offiziell verkündet worden, das werden die Vereinigten Staaten tun, nehme ich an. Wir wünschen uns eine stärkere Präsenz und engere Kooperation bis hin zu militärischer Planung.

Wird Russland das nicht als Provokation auffassen?

Lassen Sie mich von Provokationen sprechen: Im April haben die Russen an 26 von 30 Tagen Marineübungen in unserer Wirtschaftszone durchgeführt. Das ist zwar legal. Aber 26 Tage von 30 – ist das nicht intensiv? Darauf müssen wir reagieren. Oder diese intensiven Überflüge: Wenn man gezwungen wird, seinen Luftraumschutz drei oder vier Mal häufiger als normal zu aktivieren, ist das ebenfalls aussagekräftig. Die Eskalation wird bereits betrieben.

Russland betont seit einigen Monaten immer häufiger sein Atomarsenal. Mitte der Woche will sogar die Nato erstmals seit Jahren über die russische Nuklearstrategie beraten. Ist der Einsatz von Kernwaffen wieder denkbar geworden?

Solange es Atomwaffen gibt, sollten wir uns daran erinnern, dass wir das Gleichgewicht bewahren sollten. Wir sollten auch in Europa ausreichende Kapazitäten von Atomwaffen beibehalten.

Was ist mit der Stationierung von US-Atomwaffen in Osteuropa?

Darüber sprechen wir nicht. Aber man sollte nicht erwägen, die Waffen aus Europa abzuziehen. Leider funktioniert es nicht, solche Schritte einseitig zu setzen und zu hoffen, dass die andere Seite nachzieht. Das wird meist als Zeichen der Schwäche interpretiert – oder als Einladung zum Handeln.

Die Sanktionen haben Russland nicht von seinem Konfrontationskurs abgebracht. Welche Optionen hat Europa denn noch?

Wir haben nicht viele Optionen, Druck auszuüben. Sanktionen sind eine davon. Ich teile die Ansicht, dass sie nicht ausreichen. Aber wir haben uns dafür entschieden und müssen weitermachen. Aber es gibt noch eine Option, von der ich nicht verstehe, warum sie bisher nicht angewandt worden ist: politische Isolation. Ich meine nicht, alle Kontakte abzubrechen, manche, auf Arbeitsebene, sollten fortgeführt werden. Aber ich verstehe nicht, warum man hochrangige Treffen ohne jeglichen Grund und ohne irgendein Ergebnis ausrichtet. Das schafft nur den Eindruck des „business as usual“.

ZUR PERSON

Linas Antanas Linkevičius, 54, ist studierter Elektrotechniker, Sozialdemokrat und seit 2012 Außenminister von Litauen. Das größte baltische Land ist seit 2004 Mitglied der EU und der Nato. Rund sechs Prozent der 3,5 Millionen Litauer gehören der russischen Minderheit an. Die Regierung in Vilnius hat wiederholt vor russischer Aggression gewarnt, auch weil das Land im Westen an die russische Exklave Kaliningrad grenzt. [ Daniel Novotny ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.