Afghanistan: Taliban-Angriff auf das Zentrum der Macht

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Mit der Attacke auf das Parlament in Kabul ist den Taliban ein symbolträchtiger Schlag gelungen. Die Armee kann den Aufständischen kaum etwas entgegensetzen.

Kabul/Wien. Der Vorsitzende wendet sich gerade an die Abgeordneten, als eine gewaltige Explosion das Parlament in Kabul erschüttert. TV-Aufnahmen, die die Szene einfangen, zeigen, wie das Gebäude bebt und sich Rauch ausbreitet, panische Schreie sind zu hören. Abgeordnete rennen aus dem Saal.

Mit dem Angriff auf das afghanische Parlament ist den radikalislamischen Taliban am Montag ein symbolträchtiger Schlag gegen die Regierung in Kabul gelungen. Laut Polizei war es einem Selbstmordattentäter trotz mehrerer Kontrollstellen gelungen, sich am Tor des Abgeordnetenhauses in die Luft zu sprengen. Sechs weitere Angreifer, die sich in einem nahen Gebäude verschanzt hatten, lieferten sich ein Feuergefecht mit den Sicherheitskräften. Alle sechs seien dabei erschossen worden, meldete das Innenministerium etwas später. Die Parlamentarier seien in Sicherheit, es habe 19 Verletzte gegeben.

Für die Taliban ist die Attacke ein Propaganda-Erfolg. Die Sitzung am Montag war in zweifacher Hinsicht besonders: Zum einen endete just an diesem Tag die fünfjährige Legislaturperiode. Die Parlamentswahl, für April geplant, ist auf einen unbekannten Termin verschoben worden.

Zum anderen sollte sich am Montag der designierte Verteidigungsminister, Masoom Stanikzai, den Abgeordneten präsentieren. Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte seit dem Abzug der Nato-Truppen mit Anfang des Jahres weitgehend auf sich selbst gestellt sind und sich gerade einer neuen Taliban-Offensive gegenübersehen, ist das Land seit dem Amtsantritt des umstrittenen Präsidenten Ashraf Ghani im September ohne Verteidigungsminister. Stanikzai ist bereits der dritte Kandidat, der nominiert wurde und vom Parlament bestätigt werden muss. Grund für die Verzögerung ist der Dauerstreit zwischen den verschiedenen politischen Fraktionen.

„Der Angriff zeigt das große Scheitern der für den Geheimdienst und die Sicherheit zuständigen Regierungsstellen“, sagte der Abgeordnete Farhad Sediqi. Nicht zum ersten Mal gelingt den Aufständischen eine Machtdemonstration im Zentrum der Hauptstadt: Erst kürzlich hatten die Taliban das Justizministerium angegriffen und zwei von Ausländern besuchte Hotels.

Nicht nur in Afghanistan wachsen die Zweifel, ob Polizei und Armee in der Lage sind, den Aufständischen etwas entgegenzusetzen. Innerhalb von zwei Tagen sind zwei Distrikte in der Provinz Kunduz im Norden in die Hände der Taliban gefallen – Teil einer Sommeroffensive, die derzeit zugunsten der Aufständischen verläuft. Lokale Kommandeure beklagten sich bitterlich, sie hätten vergeblich um Verstärkung gebeten.

Seit dem Abzug eines Großteils der Nato-Truppen Ende 2014 konzentriert sich die Staatengemeinschaft überwiegend auf die Ausbildung und Beratung der Armee- und Polizeiführung. Experten bezweifeln allerdings die Erfolgsaussichten dieser Mission. Korruption und Selbstbereicherung sind weit verbreitet, es fehlt an Kompetenz. Ein Pentagon-Bericht warnte vor einer Woche, die Sicherheitskräfte müssten sich „verbessern“, um mehr als ein Patt mit den Taliban in diesem Jahr zu erreichen.

IS macht Taliban Konkurrenz

Während die Kämpfe zwischen Armee und den Aufständischen im Westen und Süden weitergehen, häufen sich im Osten an der Grenze zu Pakistan dagegen Meldungen über Kämpfe zwischen Taliban und Splittergruppen, die der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Treue geschworen haben. Dass die Taliban diese Konkurrenz im eigenen Land fürchten, zeigte ein Brief, den sie vor wenigen Tagen an IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi schrieben. Darin forderten sie den Terrorfürsten auf, sich nicht in ihre Angelegenheiten einzumischen – und nicht weiter Anhänger in Afghanistan zu rekrutieren.

Die Sorge um ein Erstarken des IS in Afghanistan mag dazu beigetragen haben, dass sich die Taliban dazu bereit erklärt hatten, an – informellen – Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Oslo in der vergangenen Woche teilzunehmen. Von Friedensgesprächen wollen aber beide Seiten nichts wissen. Die Taliban haben bereits angekündigt, ihre Offensive fortsetzen zu wollen. Afghanistan könnte ein blutiger Sommer bevorstehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2015)

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