Spionage: „Lass' dich nur nicht erwischen“

U.S. President Obama and French President Hollande look out over Omaha Beach during D-Day commemorations in Colleville-sur-Mer
U.S. President Obama and French President Hollande look out over Omaha Beach during D-Day commemorations in Colleville-sur-Mer (c) REUTERS
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Frankreich empört sich über Lauschangriffe der NSA auf drei seiner Präsidenten. Doch auch die Dienste in Paris bespitzeln nicht nur Terroristen.

Paris. Die Mobiltelefongespräche der französischen Präsidenten Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und des amtierenden François Hollande soll der US-Geheimdienst NSA also abgehört haben. Auch Mitarbeiter der Staatschefs seien unter den Opfern der jahrelangen Lauschangriffe, genauso wie Behörden und Dienststellen. Das geht aus in Frankreich veröffentlichten WikiLeaks-Dokumenten hervor. Frankreich protestiert nun voller Empörung. Trotz der eigenen Spionage.

Wie ein Echo auf den neuen NSA-Skandal taucht nämlich unweigerlich die Frage auf, was denn Frankreich in diesem Bereich tut. Denn selbstverständlich bespitzeln und belauschen auch die Pariser Geheimdienste nicht nur potenzielle Staatsfeinde oder Terroristen, sondern auch Partner und politische Freunde. Der Sicherheitsexperte François Heisbourg meint dazu in der Zeitung „Libération“ ironisch: „Als einzige Regel in Sachen Abhören gilt, sich nicht erwischen zu lassen.“

Da nun aber die NSA-Praktiken in Frankreich publik geworden sind, muss die Staatsführung dazu auch öffentlich Stellung nehmen. Präsident Hollande hat gestern die wichtigsten Regierungsmitglieder zu einem sogenannten Verteidigungsrat einberufen und anschließend Delegationen der beiden Parlamentskammern zu einer Aussprache empfangen. Er wollte mit solchen eher symbolischen Gesten signalisieren, dass bei diesem enthüllten Lauschangriff die Sicherheit der französischen Republik wenn nicht infrage gestellt, so doch zumindest tangiert worden sei und wie ernst er das als Staatsoberhaupt nehme. Im Anschluss an diese Krisentreffen ist dann ein Kommuniqué publiziert worden, in dem steht, dass Hollande schon 2013 und danach noch einmal bei seinem Staatsbesuch in den USA 2014 gegen die telefonischen Überwachung protestiert habe. Und niemand kann ihm heute garantieren, dass dieses Ersuchen etwas bewirkt hat. Die US-Behörden haben nichts dementiert, sondern bloß mitgeteilt, „gegenwärtig“ werde Hollande nicht (mehr) abgehört: „Wir nehmen die Kommunikation von Präsident Hollande nicht ins Visier und werden sie nicht ins Visier nehmen“, erklärte Ned Price, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats.

US-Botschafterin ins Außenamt zitiert

Die rechte Opposition in Frankreich verlangt wegen der jüngsten Enthüllungen nun eine offizielle Entschuldigung von Präsident Barack Obama. Der Chef der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, fordert zumindest den Abbruch der Verhandlungen über das transatlantischen Freihandelsabkommen. Während also die französische Öffentlichkeit eine starke Reaktion erwartete, beschränkte sich Hollande darauf, in seiner Mitteilung den heimlichen Lauschangriff als „inakzeptabel“ zu qualifizieren. Am Nachmittag ließ er dann – wie dies bei diplomatischen Zwischenfällen üblich ist – die US-Botschafterin ins Pariser Außenministerium zitieren, wo sie rechtfertigen sollte, was nicht zu rechtfertigen ist.

Selbstverständlich kann auch sie den Pariser Partnern keine Garantie geben, dass die NSA künftig mehr Zurückhaltung an den Tag legen wird. Denn in ihrer eigenen Botschaft neben der Place de la Concorde, nur ein paar Schritte vom Elysée-Palast, vom Innenministerium oder der Nationalversammlung entfernt, befindet sich eine der wichtigsten Spionagezentralen des von NSA und CIA gemeinsam betriebenen Special Collection Service(SCS), das dort 2004 auf dem Dach des Gebäudes eingerichtet worden ist. Laut dem Magazin „Spiegel“ gibt es rund 80 solcher SCS-Abhörzentralen in der Welt, darunter auch in Wien, Berlin, Genf, Warschau, Madrid und Stockholm. Aufgrund dieser Enthüllungen von 2013 wusste man auch, dass in der französischen Botschaft in Washington und der Vertretung bei der UNO in New York zur Bespitzelung der Diplomaten Wanzen versteckt worden waren.

Handynummern als Selektoren

Mit welchen technischen Mitteln genau die Gespräche der Präsidenten Chirac, Sarkozy und Hollande sowie ihrer wichtigsten Mitarbeiter und Berater zwischen 2006 und 2012 abgehört worden sind, geht aus den publizierten WikiLeaks-Dokumenten nicht hervor. Die Rede ist von nicht konventionellenMethoden und unter anderem einem ausländischen Satelliten. Nach Berichten von NDR und „Süddeutsche Zeitung“ sind die in einem der Dokumente aufgelisteten Telefonnummern (vom Präsidenten abwärts) Teil der sogenannten Selektoren, anhand derer die NSA weltweite Datenströme durchforstet.

„Kompromisslose“ Merkel

Der Inhalt der jetzt enthüllten Konversationen im Elysée lasse jedenfalls den Schluss zu, dass die NSA ein breit gefächertes Interesse an Frankreich hatte und zum Teil mit enormem Aufwand sehr banale Dinge herausfand, wie zum Beispiel, dass Chiracs ehemaliger Außenminister ein Schwätzer sei, der vom Präsidenten mehrfach wegen seiner Äußerungen gerügt werden musste. „Was da als Top Secret klassifiziert wurde, hätten die Schnüffler der US-Geheimdienste mit viel weniger Aufwand und Kosten in der Zeitung lesen können“, meint dazu in „Libération“-Redaktionsleiter Johan Hufnagel.

In den Analysen der NSA werden im Fall von Hollande auch Meinungsverschiedenheiten mit der „kompromisslosen“ Kanzlerin Merkel bezüglich der Schuldenkrise und eines Austritts Griechenland aus dem Euro erwähnt. Während eines Treffens mit Merkel am 15. Mai 2012 habe Hollande den Eindruck gewonnen, dass die Kanzlerin Griechenland „fallen gelassen habe“, steht in einem Geheimdienstbericht. Auch ein „Geheimtreffen“ des Präsidenten mit der SPD, damals noch Oppositionspartei, und dessen mögliche diplomatische Konsequenzen wird erwähnt. Aber große Staatsgeheimnisse, die von der NSA entdeckt worden wären, sucht man vergeblich. Selten dagegen wurde so eindeutig wie mit diesen Enthüllungen bewiesen, dass die Überwachung der NSA sogar bis in die Privatsphäre befreundeter Staatschefs ging. Bange Frage also für Hollande: Was wusste das Weiße Haus über seine Liaison mit Schauspielerin Julie Gayet?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2015)

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