William Perry: „Atomwaffeneinsatz wurde wahrscheinlicher“

William Perry
William Perry(c) EPA (Shawn Thew)
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Ex-US-Verteidigungsminister William Perry warnt vor einem neuen nuklearen Rüstungswettlauf. „Wir brauchen ernsthafte Diplomatie.“

Die Presse: Russland schafft sich Interkontinentalraketen an und droht wieder mit Atomwaffen. Bahnt sich ein Wettrüsten an?

William Perry: Ja, wir sind an der Schwelle zu einem neuen atomaren Rüstungswettlauf. Es gibt zwei wichtige Konsequenzen daraus: Erstens werden die USA sich gezwungen fühlen nachzuziehen. Zweitens: Wenn Russland neue Waffen entwickelt, wird es eine Notwendigkeit geben, Atomtests wieder aufzunehmen. Auch darauf würden die Vereinigten Staaten reagieren. Die USA haben den Atomteststoppvertrag (CTBT) zwar nicht ratifiziert, aber sie haben auch nicht getestet. Jetzt bewegen wir uns auf eine Zeit zu, in der sich das sowohl aufseiten Russlands als auch der USA ändern könnte.

Stichwort nachziehen: Die USA haben bereits ein umfassendes Modernisierungsprogramm ihres Atomarsenals beschlossen.

Das Modernisierungsprogramm besteht auf dem Papier. Bisher ist noch nicht viel davon umgesetzt worden. Auch das Geld muss dafür noch genehmigt werden. Die Gegenargumente kommen erst noch. Aber die Leute, die sie einbringen, haben weniger Chancen damit erfolgreich zu sein, wenn sie mit einem laufenden Modernisierungsprogramm in Russland konfrontiert sind.

Was ist Präsident Putins Kalkül dahinter?

Russland ist besorgt, weil seine konventionellen Kräfte schwach sind. Kernwaffen sollen diese Schwäche ausgleichen. Wenn es zu irgendeinem Konflikt kommen sollte, müssten sie ihn sehr rasch auf die nukleare Ebene verlegen. Sie haben offen erklärt, dass sie an der Politik eines Verzichts auf den Ersteinsatz (von Atomwaffen, Anm.) nicht länger festhalten und im Falle eines Konflikts Atomwaffen einzusetzen gedenken.

Ist das bloß Rhetorik, oder ist der Einsatz von Atomwaffen damit wirklich realistischer geworden?

Ein Atomwaffeneinsatz ist wahrscheinlicher geworden. Ich nehme die russischen Aussagen für bare Münze.

Wie kann diese Logik durchbrochen werden?

Das Wichtigste ist die Diplomatie. Die USA, die westeuropäischen Staaten, die Nato müssen prüfen, welche Politik sie verfolgen, die dazu führt, dass Russland sich bedroht fühlt. Unabhängig davon, ob wir denken, dass die Wahrnehmung der Bedrohung überzogen ist. Für Russland scheint sie real zu sein. Damit verbunden müssen wir anfangen, ernsthafte Gespräche mit Russland zu führen. Die Dinge sind zu wichtig, als dass wir uns darauf beschränken könnten, über Pressemitteilungen zu kommunizieren. Wir brauchen ernsthafte Diplomatie.

Ende des Monats läuft die Frist aus, um mit dem Iran ein Atom-Abkommen zu erreichen. Wie sehen Sie die Chancen, dass ein Deal zustande kommt?

Ich hoffe, dass die Verhandlungen erfolgreich sein werden. Das wäre ein großer Schritt nach vorne.

Das sehen viele republikanische Spitzenvertreter anders, und auch Israel macht Druck auf die Obama-Regierung, um ein Abkommen zu verhindern.

Bei jedem Waffenvertrag in der Geschichte hat es Gruppen in den USA gegeben, die dagegen waren, das ist keine Ausnahme. Der Unterschied diesmal ist Israel. Das hat die Akzeptanz eines Abkommens in den USA schwieriger gemacht. Weil es eine Gruppe gibt, deren spezielle Sorge es ist, dass ein Abkommen Israel schaden könnte. Natürlich müssen wir die israelischen Sorgen ernst nehmen. Sie (die Israelis, Anm.) haben zweifelsfrei Grund zur Sorge, wenn der Iran eine Atombombe besitzt. Aber die Sache hier ist, dass sie glauben, dass das Abkommen den Iran noch besser in die Lage versetzen würde, eine Atombombe zu erlangen – da bin ich anderer Meinung.

Aber würde das Abkommen den Iran wirklich davon abhalten können, eine Bombe zu bauen?

Der Iran könnte heute schon in relativ kurzer Zeit eine solche Waffe bauen. Das ist eine Tatsache – ob es einen Deal gibt oder nicht. Aber, und das ist für mich der entscheidende Gedanke, ein Abkommen würde die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass sie die letzten Schritte wirklich in die Tat umsetzen.

ZUR PERSON

William Perry, 87, war US-Verteidigungsminister (1994 bis 1997) in der Regierung von Bill Clinton. Der Experte für US-Außenpolitik, nationale Sicherheit und Waffenkontrolle lehrt an der Stanford-Universität und leitet das mit der Harvard-Universität gemeinsam betriebene Projekt für Präventive Verteidigung. [ EPA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2015)

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