Syriza: "Demütigungen" werden nicht akzeptiert

A reflection of the statue of the Godess Athena is seen on the side of a building in Athens
A reflection of the statue of the Godess Athena is seen on the side of a building in Athens(c) REUTERS
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Zwischen Angst, Scherzen und Noteinkäufen: Wie die Griechen auf die dramatischen Ereignisse reagieren. Und, die Geschichte der Syriza. Der Versuch einer Erklärung.

Nur Nachtschwärmer erfuhren aus erster Hand, von ihrem Ministerpräsidenten Alexis Tspiras selbst auf dem Weg einer TV-Ansprache gegen ein Uhr früh des Samstags, dass er beschlossen hatte, am 5. Juli 2015 eine Volksabstimmung abzuhalten. Tsipras hatte am Freitag um 20.00 Uhr seinen Ministerrat einberufen und verkündet, dass er die Abstimmung über die für seine Regierung inakzeptablen Lösungsvorschlägen der Gläubiger vom 25.6.2015 abhalten wollte. Sein Vorschlag wurde einstimmig angenommen. In der Folge wandte er sich an das Stimmvolk.

Die meisten Menschen, die die Nachricht vernahmen, ob noch in der Nacht oder im Lauf des folgenden Tages, dachten sofort an ihre unmittelbaren Bedürfnisse: Sie gingen zum Bankomaten, machten Noteinkäufe und tankten ihre Autos. Sie wollten Vorräte für die kommende Woche anlegen - für den Fall, dass die Banken am Montag geschlossen bleiben würden. Das Ergebnis waren Menschenschlangen vor Bankomaten, Tankstellen, und überfüllte Supermärkte. In diesen Tagen treffen auf den Konten von 2,5 Millionen Griechen die Pensionen ein, mit erhöhter Frequenz war also zu rechnen, doch nur wer noch in der Früh das Bargeld abhob, bekam noch Geld zu Gesicht. Gegen Mittag spuckten die meisten Apparate der Hauptstadt keine Banknoten mehr aus. Die Menschen informierten einander über die Ereignisse der Nacht, manche rissen Drachmen-Witze, die Friseurin überlegte ratlos, wieviel Drachmen sie für einen Haarschnitt verlangen sollte; wieder andere überlegten laut, ob sich bei einem eventuellen Euroausstieg ihre Schulden bei den Banken verringern würden. Menschenaufläufe, Demonstrationen oder andere Unruhen gab es bis Samstag abend keine. Die Polizei jedenfalls wurde in Bereitschaft versetzt, Urlauber einberufen.

Schon in den Tagen zuvor war klar geworden, dass sich in der Regierungskoalition aus radikalem Linksbündnis (Syriza) und rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“ (Anel) für den Vorschlag der Gläubiger-Institutionen von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds keine Mehrheit finden würde. Schon der eigene Vorschlag der Regierung Tsipras für ein Maßnahmen-Paket von ca. acht Mrd. Euro war umstritten - umso weniger hätte der Ministerpräsident für die Gegenvorschläge der Gläubiger ein Mehrheit innerhalb seiner Regierungskoalition gefunden. In seiner Ansprache berief er sich auf die „Würde“ des Volkes und äußerste den Verdacht, dass Griechenland „gedemütigt“ werden sollte. Er sprach von der weiteren Senkung der Pensionen und Maßnahmen, die die Rezession im Land weiter verlängert hätten. Doch an die andere Seite der Medaille, die Folgen eines Austritts aus der Eurozone, dachte man nicht im gleichen Ausmaß. Warum?

Syriza war ursprünglich eine Sammlung von 16 unabhängigen Linksgruppen, vom europafreundlichen Synaspismos von Alexis Tsipras, über Maoisten, radikale Ökologen, „Patriotische Linke“, Bürgerbewegungen bis zu Linksabspaltungen der sozialistischen Partei (Pasok). Erst im Juli 2013 wurden die Gruppen aufgelöst und eine einheitliche Parteistruktur geschaffen. Seither gibt es auch eine offizielle innerparteiliche Opposition, die „linke Plattform“ von Panagiotis Lafazanis.

Lafazanis, erklärter Gegner von Privatisierungen und Befürworter einer starken verstaatlichten Industrie, stammt ebenfalls aus dem Synaspismos. Lange Jahr war er jedoch Mitglied der Kommunistischen Partei Griechenlands und rechte Hand ihres Generalsekretärs Charilaos Florakis. Unabhängig von ihren ideologischen Standpunkten und Abfärbungen, eint die Syriza-Politiker ein Charakteristikum, das auch bei anderen politischen Parteien Griechenlands mehr oder weniger ausgeprägt anzutreffen ist: Ein starker Nationalismus und die tief verankerte Überzeugung von der Sonderrolle Griechenlands in der Welt. Schon in seiner Regierungserklärung, aber auch bei verschiedensten anderen Anlässen, hat Tsipras erklärt, dass die Wurzeln seiner Partei in den „Kämpfen“ des griechischen Volkes, im „Widerstand“ gegen äußere Feinde, dem Kampf für Demokratie zu finden sind.

Explizit nannte er den Befreiungskampf gegen die Türken 1821, den Widerstand gegen die Besatzungsmächte während des 2. Weltkrieges. Prägend für viele der älteren Kader von Syriza war dazu der Widerstand gegen die griechische Obristendiktatur von 1967-1974. Einige, wie die heutige Staatssekretärin im Finanzministerium, Nadia Valavani, die als blutjunge Studentin mit den Folterkellern der Obristen Bekanntschaft machte, aus eigener Erfahrung; andere, wie der „nachgeborene“ Alexis Tsipras, nahmen sich den Widerstand der „Wenigen“ gegen die Diktatoren und die schweigende Mehrheit zum Vorbild.
Nachdem der seiner Meinung nach sehr weitgehende Vorschlag der griechischen Seite abgelehnt wurde, entschloss sich Tsipras, politisch groß geworden im Geist des „Widerstandes“ zum Bruch. Eine „Demütigung“ Griechenland, „Erpressungen“, „anti-demokratisches“ Verhalten wollte er nicht hinnehmen.

Gläubiger wie Shylock. Begleitet wird sein Schritt von einer Welle radikal-patriotischer Tiraden von mittleren Kadern der Partei auf allen Fernsehkanälen und im Parlament. Bei der Diskussion über den Vorschlag der Volksabstimmung verglich gar die Parlamentspräsidentin, die Syriza-Politikerin Zoi Konstantopoulou, die europäischen Gläubiger mit Shylock in Shakespeares „Kaufmann in Venedig“, der fordert, dass dem Schuldner das Fleisch aus dem Körper geschnitten wird.

Vom stolzen, einsamen Weg des Widerstandes war die Rede. Von Würde, immer wieder. Manche definieren sich nach wie vor als Europäer, meinen aber, ihre Verhandlungspartner wollten bloß eine Europa „à la carte“, nach neoliberalen Vorstellungen. Auch Verschwörungstheorien, die den Versuch eines Sturzes der Regierung Tsipras durch einige Europäer und durch eine griechische „5. Kolonne“ anprangern, ist viel die Rede. In diesem Punkt werden sie von den von Anfang an stark antieuropäisch eingestellten Kadern von Anel nicht nur unterstützt, sondern an Aggressivität und Radikalismus sogar noch übertroffen. Anel-Chef Panos Kammenos hat schon wiederholt von Deutschland als „Besatzungsmacht“ gesprochen, also bewusst den Vergleich zu Nazideutschland gezogen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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