Der „Islamische Staat“ als effektive Alternative

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Die ägyptische Armee wird der Bedrohung durch militante Islamisten nicht mehr Herr. Politisch-ökonomische Ursachen begünstigen den Aufstieg.

Kairo. Es war nicht einfach nur eine neue Serie von Anschlägen militanter Islamisten gegen die ägyptische Armee im Sinai. Was am Mittwoch im Nordsinai nur wenige Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen geschehen ist, hat eine neue Qualität, die für Ägypten nichts Gutes verheißt.

Statt wie üblich bei Militärkontrollpunkten und Polizeistationen zuzuschlagen und sich dann schnell wieder zurückzuziehen, lieferten sich die Militanten stundenlange Schlachten mit dem Militär. Zeitweise übernahmen die Jihadisten der „Provinz Sinai“, die dem IS die Treue geschworen haben, auch fast eine ganze Ortschaft. Die Armee musste so ziemlich ihr ganzes Arsenal aufbieten, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen.

Dass sie dabei sogar mit F-16-Kampfflugzeugen im eigenen Land Angriffe geflogen ist, zeigt, dass sie zeitweise die Lage am Boden nicht mehr im Griff hatte – und dass sie selbst gezögert hat, Kampfhubschrauber einzusetzen, weil die andere Seite ebenfalls gut gerüstet war, unter anderem auch mit Luftabwehrraketen.

In zwei Jahren gelang es der Armee und Abdel Fatah al-Sisi, dem früheren Generalstabchef und nunmehrigen Präsidenten, nicht, die Lage im Nordsinai zu beruhigen. Im Gegenteil: Der Kleinkrieg eskaliert. Gut trainierte und gut gerüstete Jihadisten, die offensichtlich teilweise die Unterstützung der lokalen beduinischen Bevölkerung genießen, machen der Armee das Leben dort immer schwerer. Das militärische und taktische Geschick der IS-Terroristen könnte zudem ein Hinweis sein, dass sich in ihren Reihen inzwischen auch übergelaufene ägyptische Sicherheitsleute und Militärs befinden.

Operationsgebiet wird größer

Das Operationsgebiet derer, die im Namen des sogenannten Islamischen Staats (IS) kämpfen, vergrößert sich. Immer mehr militante Gruppierungen schließen sich dem IS an – zu beiderseitigem Vorteil. Die lokalen Gruppierungen, die dem IS die Treue schwören, erhöhen damit ihr Prestige. Der IS eröffnet immer mehr Zweigstellen. Insofern können die 15 koordinierten IS-Angriffe im Nordsinai und die bisher längste Schlacht mit der ägyptischen Armee seit dem Krieg mit Israel 1973 als Teil der IS-Ramadan-Offensive gelten – vom Anschlag auf einen Strand in Tunesien über den Bombenanschlag auf eine schiitische Moschee in Kuwait bis zum Versuch der Rückeroberung der syrisch-kurdischen Stadt Kobane. Die Botschaft: Der IS kann überall zuschlagen – gegen Urlauber, schiitische Gläubige in einer Moschee, kurdische Peshmerga und die größte Armee im bevölkerungsreichsten arabischen Staat.

Die inneren arabischen Widersprüche begünstigen den Aufstieg des IS. Sie sind sein Lebenselixier. 75 Prozent der Jugendlichen Tunesiens haben nicht an den letzten Wahlen teilgenommen. Desillusioniert von den Versprechungen stellen sie das Gros der Arbeitslosen und sind darum eine leichte Beute für die Demagogen des IS. Die Jihadisten bilden den Nachwuchs in Libyen aus, schicken ihn in den Irak oder nach Syrien.

Im Irak nährt sich der IS von politisch und wirtschaftlich von der Regierung in Bagdad an den Rand gedrängten Sunniten, in Syrien von jungen Männern, die glauben, auf die radikalste aller Arten das Assad-Regime zu bekämpfen. In Ägypten positioniert sich der IS als effektivere Alternative zu den Muslimbrüdern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2015)

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