US-Wahl 2016: Bernie Sanders, der linke Clinton-Schreck

Bernie Sanders
Bernie Sanders(c) REUTERS
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Der sozialdemokratische Senator aus Vermont lockt wachsende Massen. Seine Chancen sind gering, sein Einfluss auf Hillary Clinton jedoch groß.

Washington. Seine erste Wahl hat er mit Pauken und Trompeten verloren, und auch das höchste Amt im Staat wird er höchstwahrscheinlich nicht erringen. Doch knapp sechs Jahrzehnte, nachdem er in seiner Highschool in Brooklyn bei der Wahl zum Klassensprecher dritter von drei Kandidaten wurde, lässt sich Bernie Sanders in seinem Bestreben, amerikanischer Präsident zu werden, nicht aus der Fassung bringen.

Und er hat, fünf Wochen nach der offiziellen Ankündigung seiner Kampagne, starken Rückenwind. Mehr als 15 Millionen Dollar (13,5 Millionen Euro) an Wahlkampfspenden hat der selbsterklärte Sozialdemokrat und Senator des Bundesstaats Vermont bereits gesammelt: ein Drittel der gesamten Summe, die er sich als Ziel gesetzt hat, um zunächst die demokratische Nominierung im kommenden Frühling und dann die allgemeine Wahl am 7. November 2016 zu gewinnen. Die durchschnittliche Spende betrug 33,51 Dollar. 99 Prozent der Beträge liegen unter 250 Dollar, mehr als eine Viertelmillion US-Amerikaner hat ihre Unterstützung pekuniär zum Ausdruck gebracht.

Verblüffende Umfragenstärke

Nicht nur diese breite Basis an Unterstützern legt den Schluss nahe, dass sich der linke Flügel der demokratischen Partei hinter Sanders zu versammeln beginnt. Dessen bisherige Gallionsfigur, die Senatorin Elizabeth Warren aus Massachusetts, hat ausgeschlossen, selber zur Wahl anzutreten, und sie kokettiert damit, Sanders Kandidatur zu unterstützen. So liefern die Meinungsumfragen Woche für Woche stärkere Zahlen für Sanders. Die maßgebliche Umfrage der Quinnipiac University ergab dieser Tage 33 Prozent in Iowa, wo Sanders sich im Jänner der ersten parteiinternen Vorwahl wird stellen müssen; vor zwei Monaten waren es noch 15 Prozent gewesen.

Am Tag der Veröffentlichung dieser Zahlen sprach Sanders in einer Sportarena in Madison, Wisconsin vor rund 10.000 Anhängern. Knapper als ursprünglich erwartet scheint sich auch die Meinungslage der Wähler in New Hampshire darzustellen, dem zweiten der entscheidenden Vorwahlstaaten. Dort führt Hillary Clinton zwar weiterhin, aber nur mehr mit 43 zu 35 Prozent, ergab eine Umfrage im Auftrag des Fernsehsenders CNN und der Radiostation WMUR.

Diese demoskopischen Momentaufnahmen sind mit Vorsicht zu genießen. In einer für die Nachrichtenagentur Bloomberg News fast zeitgleich erstellten Umfrage in New Hampshire liegt Clinton kaum einholbare 32 Prozentpunkte vor Sanders. Das liegt daran, dass in dieser Umfrage Vizepräsident Joe Biden nicht zur Auswahl stand, in jener von CNN und WMUR hingegen schon. Wenn die Zustimmung zu Biden, der sich über einen möglichen Antritt noch bedeckt hält, abgefragt wird, schadet das Clinton. Anders ausgedrückt: Sanders hat nur dann eine reelle Chance, wenn Biden kandidiert, und das ist nicht sehr wahrscheinlich.

Der Sohn eines armen jüdischen Einwanderers aus Polen, der bei seiner Ankunft in New York im Jahr 1917 nicht Englisch sprach, seine Schulausbildung abbrechen musste, um zu arbeiten, und im Zweiten Weltkrieg den Großteil seiner in Europa verbliebenen Familie durch den Massenmord der Nazis verlor, beeinflusst allerdings die inhaltliche Positionierung der wahrscheinlichen Kandidatin Clinton.

Sanders, der von der Sozialdemokratie nordeuropäischen Zuschnitts schwärmt und für die Aufhebung der Studiengebühren an staatlichen Hochschulen, eine allgemeine Krankenversicherung nach europäischem Zuschnitt und die steuerliche sowie regulatorische Einhegung der Exzesse der Finanzbranche eintritt, hat Clinton bereits binnen Kurzem zu klareren, liberaleren Positionen in Fragen des Strafvollzuges und der Finanzmarktaufsicht angespornt.

Den wundesten Punkt ihrer politischen Gestalt, nämlich jenen, zu nahe an den Reichen und Mächtigen zu sein, bringt der 73-Jährige unter anderem dadurch auf den Punkt, dass er kein Political Action Comittee hat, also keines der Vehikel, über jenes sich diskret Millionenbeträge anonymer Gönner sammeln lassen. „Das ist nicht Demokratie, das ist Oligarchie“, zürnte Sanders Ende April bei der inoffiziellen Erklärung seiner präsidentiellen Absichten. „Politik in einer ernsthaften Gesellschaft sollte nicht wie ein Baseballspiel, eine Gameshow oder eine Seifenoper behandelt werden.“

ZUR PERSON

Bernie Sanders (* 8. September 1941, Brooklyn), Sohn armer Einwanderer aus Polen, die väterliche Verwandtschaft wurde großteils von den Nazis ermordet.
Sanders studierte am Brooklyn College und an der University of Chicago, wo er sich früh in der Bürgerrechts- und Anti-Vietnamkriegs-Bewegung engagierte. Nach einigen Monaten in einem Kibbuz in Israel zog er 1968 nach Vermont, wo er 1981 Bürgermeister der Stadt Burlington, 1990 dann Kongressabgeordneter und 2006 schließlich Senator wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

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