Die Kriegslust der Donezker Falken

UKRAINE CRISIS
UKRAINE CRISIS(c) APA/EPA/ROMAN PILIPEY
  • Drucken

Während Pragmatiker unter den Separatisten den Bürgern Normalität vermitteln wollen, sind Hardliner im Militär überzeugt, dass nur eine Offensive die Zukunft sichern kann.

Donezk. Umrahmt von einem Fahnenmeer in Schwarz-Blau-Rot – den Farben der Donezker Volksrepublik – lassen Teenager ihre gestählten Körper um Stangen rotieren, ein Junge zieht sich mit einer Hand am Reck hoch, zwei andere schlagen Salti von den Geräten. Street-Work-out nennt sich dieses dynamisierte Bodybuilding, und auch, wenn es aus den USA kommt, hat es seine Anhänger unter Teenagern in der Donezker Volksrepublik.

Unterhalb des Monuments zum Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg in Donezk findet in der Sommerhitze eine der vielen kostenlosen Massenveranstaltungen dieser Tage statt, diesmal für die Jugend. Der Vize-Parlamentssprecher, Denis Puschilin, der die Patronage über die Festivität innehat, sagt: „Eine gesunde und starke Jugend ist die Zukunft der Republik.“ Puschilin lässt sich im Kreis der Athleten fotografieren: Muskelbepackte Jungs mit nacktem Oberkörper, dazwischen er, ein rundlicher Mittdreißiger im dunkelblauen Anzug. Früher habe er auch trainiert, erzählt Puschilin den Teenagern. Jetzt habe er keine Zeit mehr. Sein Können sei Ergebnis jahrelangen Trainings, sagt der 18-jährige Jurij: „Ich mache das seit drei Jahren, also schon vor der DNR.“

Die Lage im ostukrainischen Separatistengebiet ist angespannt, auch wenn Veranstaltungen wie diese Normalität suggerieren sollen. Kiew hat zuletzt seine Transportblockade verschärft. Der Versuch, die Separatisten „auszuhungern“, trifft vor allem einfache Bürger. Vor den Checkpoints der ukrainischen Armee kommt es seit mehreren Tagen zu kilometerlangen Warteschlangen, die Wartezeit in der Sommerhitze beträgt bis zu zwölf Stunden. Autobusse dürfen nicht länger zwischen dem Separatistengebiet und dem ukrainisch kontrollierten Territorium verkehren – großartige News für Taxifahrer, schlechte für Pensionisten und ärmere Menschen. Zudem gelangen kaum noch Lebensmittel und Medikamente aus der Ukraine durch die Kontrollpunkte. In Donezker Supermärkten häufen sich russische Waren, und immer öfter bezahlen die Menschen mit Rubel. Treibstoff ist zur Mangelware geworden.

Beide Seiten beschuldigen einander, den Minsker Friedensprozess zu blockieren. Täglich wird die Feuerpause mit schweren Waffen verletzt. Auch politisch sind die Positionen weit voneinander entfernt. Gefechte auf dem Boden dauern auf niedrigem Niveau an. Die prorussischen Milizen und die ukrainische Armee sind derzeit in einen Stellungskrieg verwickelt, der keine Gebietsgewinne bringt, aber beinahe jeden Tag Opfer fordert.

Bis an die Grenzen des Gebiets

Es gibt nicht wenige „Falken“ im Separatistengebiet, die von der vom Donezker Bürokraten-Flügel betriebenen Normalisierung wenig halten. Sie fordern eine Militäroffensive: Das Territorium der Separatisten sollte zumindest bis an die Grenzen des Donezker und Luhansker Gebiets reichen.

Eine dieser Stimmen ist Fjodor Beresin. Der 55-Jährige mit grauem Schnurrbart und Adlerblick empfängt in seinem Büro im Donezker Schriftstellerverband. Er hat Bücher über fremde Zivilisationen geschrieben, über einen geheimen Krieg im Kosmos und den historischen Sieg der Sowjetunion über die USA. Science Fiction, Fantastika auf Russisch, normalerweise weit entfernt von der Realität. Doch Fiktion und Wirklichkeit haben sich in seinem Leben angenähert. Eines seiner letzten Bücher trägt den Titel „Ukrainische Front“, es erschien 2010 und handelte vom Krieg im Donbass und auf der Krim. „Ich bin zum Protagonisten meiner eigenen Bücher geworden“, sagt Beresin und lacht. Er hat eine sowjetische Militärkarriere hinter sich, war in den Anfangstagen der DNR Stellvertreter des unberechenbaren Igor Strelkow und ist heute Vizekommandant des Panzerbataillons Diesel.

Spricht man mit Beresin, bekommt man eine Ahnung von der Unzufriedenheit unter den prorussischen Militärs und Feldkommandanten über die derzeitige Lage. „Es gibt keine richtige Waffenruhe, aber auch keinen richtigen Krieg“, sagt der Mann in Flecktarn. Die DNR benötige mehr Territorium, dann würde sich auch die Versorgungslage verbessern. „Der Feind muss verjagt werden. Wir brauchen einen militärischen Erfolg.“ In Donezk demonstrierten zuletzt Zivilisten aus den Außenbezirken für ein Ende des Beschusses. Aber auch internationale Organisationen wie die OSZE geraten in Kritik, weil sie aus Sicht der Bürger „nur schauen“ und nichts tun, um die Feuerpause zu implementieren. Beresin hält nichts vom Minsker Friedensprozess. Seine Strategie: Eskalation. „Einer Armee, die gewinnt, verzeiht man vieles.“

Der Kommandant bestätigt im Gespräch freimütig, dass die prorussischen Milizen aus Wohnvierteln ihre Geschosse abfeuern. „Ja, so ist es“, sagt er. „Welche andere Möglichkeit haben wir?“ Dass Zivilisten also als menschliche Schutzschilder verwendet würden, habe „einen gewissen Anteil Wahrheit“.

Schwerindustrie leidet unter Konflikt

Beresin rechtfertigt die von ihm ersehnte Offensive auch aus ökonomischem Kalkül. Die Schwerindustrie des Donbass ist durch die Front geteilt, Zulieferbetriebe sind von ihren Abnehmern getrennt. Damit steht für beide Konfliktpartner der Produktionskreislauf auf dem Spiel: der Betrieb der Bergwerke, die Versorgung mit Eisenerz und Koks sowie die Verarbeitung der Rohstoffe in der Metallurgie. In den von den Separatisten kontrollierten Gebieten befinden sich 60 der 95 Bergwerke im Land. Damit sind unter ihrer Kontrolle auch jene Gruben, die die begehrten Kohlesorten vom Typ A und T gewinnen. Diese Kohleart wird in der Metallurgie benötigt und gewährleistet den Betrieb der Hälfte der 14 ukrainischen Kohlekraftwerke.

Doch die Separatisten können ihre metallurgischen Betriebe in Donezk, Jenakiewo und Makejewka ohne Eisenerz nicht betreiben. Dieses wird im Gebiet Dnjepropetrowsk gewonnen, außerhalb ihrer Kontrolle. Auch die wichtige Kokerei von Awdejewka, in der die Hälfte des Kokses der Ukraine gewonnen wird, liegt vor den Toren der DNR. Kein Wunder, dass Awdejewka zu den am stärksten beschossenen Orten zählt. Der Betrieb der Kokerei leidet, was wiederum ein Problem für die Versorgung der Stahlfabrik in Mariupol auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet ist.

300 Dollar im Monat für Soldaten

Beresin plagen Versorgungsengpässe auch in seinem Alltag. Dem Diesel-Bataillon mangelt es an Treibstoff. „Dann müssen die Panzer stehen bleiben.“ Solange er nicht richtig kämpfen darf, konzentriert er sich auf die Ausbildung seiner Mitstreiter, „viele davon einfache Bergarbeiter“. Vor allem einfache Kämpfer und die Aufpasser an den Checkpoints rekrutieren sich aus der Lokalbevölkerung. Nach Beresins Angaben erhält ein prorussischer Kämpfer 300 Dollar im Monat – ein stattlicher Lohn für ukrainische Verhältnisse. Da viele Gruben und Industriebetriebe stillstehen, bieten die Milizen eine alternative Einkommensmöglichkeit für die männliche Arbeiterbevölkerung.

Jurij, der 18-jährige Donezker Sportler, will nicht in den Krieg ziehen. Das Work-out soll sein Hobby bleiben, seine Verteidigungskunst will er nicht im Kampf erproben: „Es ist wichtig, eine gute Ausbildung zu haben.“ Jurij studiert Informatik. Damit lässt sich in Krieg und Frieden gutes Geld verdienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.