"Befinden uns im Krieg": Tunesien verhängt Ausnahmezustand

Hotel workers observe a minute's silence in memory of those killed in a recent attack by an Islamist gunman, at a beach in Sousse
Hotel workers observe a minute's silence in memory of those killed in a recent attack by an Islamist gunman, at a beach in SousseREUTERS
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Ein tunesischer Student hat vergangene Woche an einem Strand in Port El Kantaoui nahe Sousse 38 Menschen erschossen.

In Tunesien ist gut eine Woche nach der Ermordung Dutzender Urlauber durch einen Islamisten der Ausnahmezustand verhängt worden. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tap unter Berufung auf Staatspräsident Beji Caid Essebsi. Einzelheiten waren zunächst nicht bekannt. Der Ausnahmezustand dauert zunächst 30 Tage. "Wir sind in großer Gefahr", sagte er am Samstagabend in einer Fernsehansprache. "Wir befinden uns im Kriegszustand." Das Land sei in einer schwierigen Lage und es sei notwendig, ausländische Investoren anzuziehen, fügte er hinzu. "Aber investitionsfreundliches Klima haben wir zur Zeit nicht.

Essebsi reagiert damit auf die Ermordung Dutzender Urlauber durch einen Islamisten vor gut einer Woche: Ein tunesischer Student hatte am Freitag vergangener Woche an einem Strand in Port El Kantaoui nahe Sousse 38 Menschen erschossen, darunter 30 Briten und zwei Deutsche. Das Attentat auf die Anlage des Hotels Riu Imperial Marhaba war das bisher blutigste in der Geschichte Tunesiens. Seit dem Sturz des ehemaligen Staatschefs Zine El Abidine Ben Ali 2011 ist die islamistische Gewalt in dem nordafrikanischen Land auf dem Vormarsch, viele junge Tunesier schließen sich offenbar aus Frust über mangelnde Perspektiven Extremisten an.

Im BBC-Interview räumte Ministerpräsident Habib Essid ein, dass die Polizei zu langsam gehandelt habe. "Die Zeit der Reaktion - das ist das Problem", sagte Essid dem Sender. Nach Angaben des Regierungschefs wurde der Täter in Libyen trainiert, "vermutlich" von der Miliz Ansar al-Sharia.

Die salafistische libysche Gruppierung steht auf der Terrorliste der USA, weil sie an dem Angriff auf das US-Konsulat in Benghazi beteiligt gewesen sein soll, bei dem im September 2012 der Botschafter Christopher Stevens getötet wurde. Auch eine tunesische Gruppe des Namens ist in Libyen aktiv.

Ausnahmezustand im März 2014 aufgehoben

Tunesien hatte erst im März 2014 den Ausnahmezustand, der seit dem Arabischen Frühling 2011 gegolten hatte, aufgehoben. Die Sicherheitskräfte hatten dadurch umfassende Rechte bekommen: So durften sie zum Beispiel schießen, wenn sich eine verdächtige Person widersetzte.

Der neuen tunesischen Verfassung zufolge darf der Präsident den Ausnahmezustand im Falle einer akuten Bedrohung des Staates nach Beratungen mit dem Regierungschef und dem Parlamentspräsidenten verhängen. Allerdings darf er in einer solchen Extremsituation nicht das Parlament auflösen. 30 Tage nach Verhängung des Ausnahmezustands dürfen der Parlamentspräsident oder mindestens 30 Parlamentarier das Verfassungsgericht anrufen, um die Maßnahme zu überprüfen. Eine Verfassungsgericht gibt es in Tunesien allerdings noch nicht. Es soll noch heuer aufgebaut werden.

Die Regierung geht nach dem Anschlag bei Sousse auch massiv gegen Hassprediger vor. Laut Staatsmedien sollen bis Sonntag die rund 80 Moscheen, die nicht unter staatlicher Kontrolle stehen, geschlossen sein. In Tunesien wurde 2011 der autoritäre Langzeitmachthaber Zine el Abidine Ben Ali gestürzt. Durch die Unruhen in der Region nehmen islamistische Übergriffe seither immer weiter zu.

Als einziges arabisches Land und Ursprungsland des "Arabischen Frühlings" brachte Tunesien nach der Jasminrevolution 2010/11 seine Demokratisierung voran. Dazu trug die Bereitschaft der Islamistenpartei Ennahda bei, nach einem ersten Wahlsieg die Macht wieder abzugeben, als sie nach der Ermordung zweier Oppositioneller mutmaßlich durch Islamisten unter massivem Druck geriet. Das stark von Europa beeinflusste kleine Urlaubsland am Mittelmeer geriet damit aber ins Visier militanter Islamisten. Anfang 2014 trat eine neue Verfassung in Kraft. Zum Jahresende wurde der säkulare Kandidat Essebsi zum Präsidenten gewählt. Der parteilose Ökonom Habib Essid ist seit Februar Regierungschef.

Massive Probleme

Die massiven wirtschaftlichen und sozialen Probleme wurden aber nicht gelöst. Mehr als 15 Prozent der elf Millionen Tunesier sind arbeitslos. Dazu kommen der inländische Terrorismus und eine militärische Bedrohung durch islamistische Milizen, die von Libyen oder Algerien aus operieren. Rund 3.000 Tunesier kämpfen nach Angaben der Regierung in den Reihen der Terrormiliz Islamischer Staat, die in Syrien und im Irak ein Kalifat ausgerufen hat und der sich Terrorgruppen von Libyen über Ägypten bis Afghanistan angeschlossen haben.

(APA/dpa/AFP)

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