Libanon: Warum der Zedernstaat noch immer keinen Präsidenten hat

(c) REUTERS (UMIT BEKTAS)
  • Drucken

Zwei christliche Ex-Militärs ringen seit 411 Tagen um das Präsidentenamt. Der Krieg in Syrien verhindert eine Einigung.

Beirut. Sitzung um Sitzung ist in dem Parlamentsgebäude am Sāhat an-Nadschma, dem „Sternplatz“ von Beirut, ohne Einigung verstrichen. 411 Tage ist der Libanon nun schon ohne Staatsoberhaupt, und damit so lange wie noch nie seit dem Jahr 1943, als die französischen Kolonialherren das Land in die Unabhängigkeit entlassen hatten. Das politische Vakuum breitet sich nun ausgerechnet in einer Notlage aus, zumal der Libanon von einer Flüchtlingswelle erdrückt wird – mehr als 1,1 Millionen Syrer drängen sich in dem 4,5-Millionen-Einwohner-Staat, der flächenmäßig etwas kleiner als Oberösterreich ist.

Längst ist der Zedernstaat selbst tief in den Krieg im Nachbarland hineingezogen worden: Angehörige der vom Iran protegierten schiitischen Hisbollah-Miliz kämpfen an der Seite Assads, während die meisten Sunniten zu Syriens Regimegegnern halten. Inmitten dieser regionalpolitischen Verwerfungen war am 25. Mai 2014 das Mandat des Präsidenten Michel Suleiman ausgelaufen. Fest steht seither nur, dass Suleimans Nachfolger ein maronitischer Christ sein wird.

So schreibt es die Realverfassung vor, die das fragile Gleichgewicht der Konfessionen im Libanon aus muslimischen Schiiten, muslimischen Sunniten und maronitischen Christen halten soll. Präsidentschaftskandidat Michel Aoun rief in den vergangenen Tagen sogar zu Straßenprotesten gegen die Regierung auf – auch deshalb, weil Berichten zufolge die Ernennung seines Schwiegersohns zum Armeechef noch nicht erfolgt ist. Zudem moniert Aoun, die Christen würden ihrer politischen Rechte beraubt.

Dabei verläuft der Konflikt um das Präsidentenamt nicht nur entlang religiöser Gräben. Innerhalb des christlichen Lagers stehen sich der 80-jährige Aoun und Samir Geagea gegenüber, die beiden hatten schon am Ende des Bürgerkriegs 1990 gegeneinander gekämpft. Mitte-links-Kandidat und Ex-General Aoun weiß nun die Allianz des 8. März um die Hisbollah hinter sich. Sein rechtskonservativer Rivale Geagea baut unter anderem auf die sunnitisch dominierte anti-syrische Koalition im Libanon. In diesem verworrenen Konflikt boykottieren nun Hisbollah- und andere Mandatare Wahl um Wahl eines neuen Staatsoberhaupts, indem sie mit ihrer Abwesenheit eine Beschlussfassung im Parlament verhindern – zwei Drittel der 128 Abgeordneten müssen anwesend sein.

Der IWF kritisierte kürzlich in einem Bericht, dass die „politische Trägheit“ das Wirtschaftswachstum hemmen würde, wobei es dabei nicht nur um das vor allem repräsentative Präsidentenamt gehe: „Der Ministerrat ist oft nicht in der Lage, Beschlüsse zu fassen, im Parlament ist nicht einmal ausreichend Konsens vorhanden, um für die Beratung wichtiger Gesetze zusammenzukommen.“ (ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.