Spanien: Kreuzzug gegen Kriegsverbrecher

Gefangenenlager Guantanamo.
Gefangenenlager Guantanamo.(c) AP (Brennan Linsley)
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Die wackeren Untersuchungsrichter lassen sich nicht einmal durch Spaniens sozialdemokratischen Regierungschef José Luis Zapatero bremsen, dem der Eifer seiner Justiz entschieden zu weit geht.

MADRID.Es scheint fast so, als ob sich Spaniens Justiz derzeit mit der ganzen Welt anlegen will. Spanische Untersuchungsrichter ermitteln gleich gegen ein Dutzend ausländischer Staaten wegen des „Verdachts auf Menschenrechtsverbrechen“: etwa wegen Folter im US-Gefangenenlager Guantánamo, israelischer Bombenangriffe auf Zivilisten im Gazastreifen oder wegen Chinas brutaler Unterdrückungspolitik in Tibet.

Kein Eisen ist den Ermittlern am Nationalen Gerichtshof in Madrid, der für Staatsterrorismus zuständig ist, zu heiß. Die wackeren Untersuchungsrichter lassen sich nicht einmal durch Spaniens sozialdemokratischen Regierungschef José Luis Zapatero bremsen, dem der Eifer seiner Justiz entschieden zu weit geht. Vor allem, weil dieser ihm jede Menge diplomatische Protestnoten beschert. Den jüngsten Zwischenfall hat der Ermittler Santiago Pedraz ausgelöst, der sich gerade mit China anlegt. Sieben chinesischen Regierungs- und Politbüromitgliedern legt er die Organisation „eines systematischen Angriffs gegen die tibetische Zivilbevölkerung“ zur Last. Bei der „Unterdrückung der Proteste des tibetischen Volkes“ vor den Olympischen Spielen im Sommer 2008 habe es mindestens 203 Tote, mehr als 1000 Verletzte und 5972 „illegale Verhaftungen“ sowie Verschleppungen gegeben.

Vorwürfe gegen Bush-Regierung

Unter den Beschuldigten befinden sich Chinas Verteidigungsminister Lian Guanglie und Staatssicherheitsminister Geng Huichang. Die Ermittlungen waren durch eine Klage von Menschenrechtsgruppen in Gang gekommen.

Spanien, argumentierte Richter Pedraz, dürfe nach geltendem internationalem Recht auch Völkerrechtsverbrechen in anderen Ländern verfolgen. Peking reagierte auf die Beschuldigungen scharf: Sollte sich Ermittlungsrichter Pedraz nach China wagen, werde er „wegen Beleidigungen festgenommen“ und „seiner verdienten Strafe zugeführt“.

Zuvor hat bereits Spaniens prominentester Strafverfolger, Untersuchungsrichter Baltasar Garzón, die USA an den Pranger gestellt. Garzón wirft der früheren Regierung von Ex-Präsident George W. Bush vor, im Gefangenenlager in Guantánamo „systematisch Folter oder Misshandlung“ angewendet zu haben.

Die Ermittlungen richten sich unter anderem gegen die frühere Außenministerin Condoleezza Rice, Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und den ehemaligen CIA-Chef George Tenet. Das Strafverfahren im Ausland sei „wenig konstruktiv“, kommentierte Washington säuerlich.

Bereits Anfang des Jahres hat Spaniens Nationaler Gerichtshof dem Staat Israel mutmaßliche „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ im Gazastreifen vorgeworfen. Untersuchungsrichter Fernando Andreu beschuldigt den früheren israelischen Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer und sechs weitere hochrangige israelische Militärs, mit einem Bombenangriff auf einen Hamas-Führer im Juli 2002 mindestens 15 Menschen getötet zu haben, „die meisten von ihnen Kinder und Babys“, heißt es im spanischen Untersuchungsbericht. Die Vorwürfe seien „zynisch und nicht fundiert“, wetterte das israelische Außenministerium.

Aufsehen um Causa Pinochet

Baltasar Garzón hatte bereits Ende der Neunzigerjahre in der Causa Augusto Pinochet für Aufsehen gesorgt. Der spanische Richter ermittelte gegen den chilenischen Ex-Diktator wegen Verbrechen an Spaniern während der Militärdiktatur. Pinochet wurde deshalb nach einem Besuch in London mehr als ein Jahr in Großbritannien festgehalten, ehe er wieder ausreisen durfte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2009)

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