Einige kritische Fragen wurden gelöst, eine Verlängerung soll den Durchbruch bringen.
Wien. Wann hat sich ein US-Außenminister seit dem Ende des Kalten Kriegs je so lang an einem Ort aufgehalten? Zwei Wochen ist es her, dass der nach einem Radunfall rekonvaleszente John Kerry zum Finale der Atomverhandlungen nach Wien geflogen ist, um im Hotel Imperial Quartier zu beziehen. Seither pendelt der 71-Jährige als einziger der involvierten Außenminister beständig zwischen dem Ringstraßenhotel und dem nur ein paar hundert Meter entfernten Palais Coburg, dem Gesprächsort, hin und her.
Als Kerry am Donnerstagabend vor die Medien trat, die Krücken ans Pult gelehnt, wusste er, dass erneut eine Deadline – die bereits dritte innerhalb von 14 Tagen – verstreichen und er neuerlich ein Wochenende in Wien verbringen würde. Zu dem Zeitpunkt war ihm schon klar, dass die bei einem allfälligen Verhandlungserfolg kürzere Begutachtungsfrist für den US-Kongress nicht eingehalten werden würde – auch wenn er erklärte: „Ich denke, dass wir einige offene Fragen gelöst haben und Fortschritte machen.“ Auf ein paar Tage mehr sollte es laut Kerry aber nicht mehr ankommen. Vorsichtshalber ließ er seine Suite bis 17. Juli reservieren.
Gleichzeitig versuchte er aber, die Gegenseite unter Druck zu setzen: „Wir können nicht ewig warten.“ Was so viel heißen sollte wie: Wir können die Gespräche auch platzen lassen. Wir haben mehr zu verlieren als zu gewinnen. Die iranische Delegation sieht das freilich ganz ähnlich – nur unter umgekehrten Vorzeichen.
Knackpunkt Waffenembargo
Ali Akbar Velayati, der frühere iranische Außenminister und Topberater des obersten Führers Ayatollah Khamenei, qualifizierte die US-Taktik als „psychologische Kriegsführung“. Dabei bediente er sich aber auch selbst der Mittel des Psychokriegs. Außenminister Mohammad Javad Zarif ließ streuen, die Gegenseite würde mehr Zeit dafür aufwenden, sich untereinander abzustimmen als mit der iranischen Delegation direkt zu verhandeln.
Die Iraner hatten zuletzt eine Aufhebung des UN-Waffenembargos auf das Tapet gebracht – ein Knackpunkt, der die Gegenüber tatsächlich spaltet: Die westlichen Staaten – allen voran die USA – beharren auf einer Blockade der Waffenlieferungen an den Iran, weil sie fürchten, Kampfjets, Panzer und Raketenwerfer könnten in die Hände von Terrororganisationen gelangen. Russland und China versprechen sich dagegen einen Profit von einer Aufhebung dieses Embargos.
Hardliner wittern ihre Chance
Für die US-Regierung in Washington wie für das Regime in Teheran, die Hauptkontrahenten im Atompoker, steht in Wien viel an Prestige auf dem Spiel. Sollten die langwierigen Verhandlungen nach dem Rahmenabkommen in Lausanne von vor drei Monaten scheitern, würde dies die Hardliner da wie dort stärken. Während der Verhandlungspause am Freitag versuchten die Protagonisten noch einmal, Energie für den letzten Kraftakt zu tanken.
US-Energieminister Ernest Moniz, als Atomphysiker eine der Schlüsselfiguren bei den technischen Verhandlungen, reiste zu einer Preisverleihung nach Portugal. Sergej Lawrow, der gewiefte russische Außenminister, ließ vom Doppelgipfel mit den Schwellenländern und den zentralasiatischen Staaten im russischen Ufa ausrichten, dass eine Einigung zum Greifen nahe sei. „Die Hindernisse sind nicht unüberwindbar“, lautete seine Durchhalteparole. Der iranische Vizeaußenminister hatte den Fortschritt bei den Atomgesprächen zuletzt mit 96 Prozent beziffert.
Via Telefon hatte Kerry von Wien aus mit Lawrow konferiert. Auch Barack Obama hatte sich in den vergangenen Tagen per Videokonferenz mit Kerry eingeschaltet, und der Präsident war weniger optimistisch. Obama gab dabei die Devise aus: Ein robuster, auf Jahrzehnte angelegter Deal habe Priorität vor jedem Zeitplan. Auf dem zähen Demokraten Kerry, gestählt durch letztlich glücklose Nahost-Gespräche, lastet große Verantwortung. Zugleich verheißt ein Erfolg den Eintrag in die Geschichtsbücher.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2015)