Betreuungsgeld: 150 Euro spalten die Bundesrepublik

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Das Höchstgericht in Karlsruhe hat das als "Herdprämie" verschmähte Betreuungsgeld gekippt. In Berlin bahnt sich Koalitionskrach um CSU-Prestigeprojekt an.

Karlsruhe. Das einstimmige Urteil der Männer und Damen in den scharlachroten Roben in Karlsruhe war noch nicht zu Ende verlesen, da brach die alte Debatte wieder aus, die in der Bundesrepublik jahrelang so leidenschaftlich wie giftig geführt wurde. Wieder drohte das von ihren Gegnern als „Herdprämie“ verschmähte Betreuungsgeld Gräben aufzuwerfen. Wieder gibt es Streit um jene Geldleistung, die Eltern einkommensunabhängig und bundesweit beziehen können, wenn sie ihre 14 Monate bis drei Jahre alten Kinder nicht in eine öffentlich geförderte Kindertagesstätte (Kita) geben, sondern zu Hause betreuen. 150 Euro macht der Zuschuss im Monat aus.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat gestern das Bundesgesetz für dieses Betreuungsgeld nach einer Klage des SPD-dominierten Hamburger Senats gekippt und für nichtig erklärt. Nicht aus inhaltlichen Erwägungen, sondern wegen eines Formalfehlers. Der Bund sei nicht zuständig, urteilten die Verfassungsrichter, zumal das Gesetz für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse auch über Ländergrenzen hinweg nicht erforderlich sei, wie der Erste Senat in Karlsruhe formulierte. Es gleiche auch keine Missstände an Kita-Plätzen aus. Kurz: Im stark föderalisierten Deutschland ist die Leistung Ländersache.

„Das ist der falsche Weg“

Das Urteil dürfte zunächst all jene aufgeschreckt haben, die das Betreuungsgeld derzeit beziehen – und deren Zahl heuer im ersten Quartal im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres von mehr als 145.000 auf rund 455.000 gestiegen ist. Juristen befanden aber einmütig, es würde keine Rückzahlungen geben. Und SPD-Familienministerin Manuela Schwesig will bereits bewilligte Gelder weiter bezahlen. Zugleich erklärte sie: „Die Entscheidung zeigt: Das Betreuungsgeld ist der falsche Weg und hat keine Zukunft.“ Die SPD schielt bereits auf den Geldtopf für die Prämie. Ein Teil der budgetierten Mittel (heuer 900 Millionen Euro) soll in den Kita-Ausbau fließen, wie das auch den Grünen vorschwebt.

Mit Widerstand aus dem Freistaat Bayern ist zu rechnen. Denn mit dem Betreuungsgeld fällt auf Bundesebene nach dem EU-Verfahren gegen die Pkw-Maut das zweite Prestigeprojekt der bayrischen CSU binnen weniger Wochen. „Kernkompetenz der CSU: verfassungswidrige Gesetze“, spottete die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt auf Twitter. Trotzig kündigte derweil CSU-Parteichef und Ministerpräsident Horst Seehofer an, dass der Bund die Mittel für das Betreuungsgeld eben an die Länder umleiten müsse. „Die rechtstechnische Entscheidung“ aus Karlsruhe ändere ja nichts an der gemeinsamen politischen Willensbildung, so Seehofer. Fest steht, dass es die Prämie im Freistaat weiter geben wird, dann eben in ein Landesgesetz gegossen.

Die CSU hatte 2013 trotz verfassungsrechtlicher Bedenken auf das Gesetz – unter der Losung „Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung“ und auch als Anerkennung für die Arbeit der Mütter – insistiert. Die Schwesterpartei CDU hat zähneknirschend zugestimmt, zumal 2013 auch der rechtliche Anspruch auf einen Kita-Platz eingeführt wurde.

Frauen als Antragsteller

Der Streit um das Betreuungsgeld war damals über den Köpfen der Kinder, Mütter und Väter in eine ideologisch aufgeladene Schlacht um das richtige Familienbild ausgeartet, mit Zerrbildern von karrieristischen Rabenmüttern und an den Herd geketteten Hausfrauen.

Gegner des Betreuungsgelds monierten schon damals, das Geld würde überkommene Rollenbilder festzurren und führen heute Zahlen an, wonach fast 95Prozent der Antragsteller Frauen sind, in Bayern sogar fast 97Prozent. Zudem würde die Prämie für sozial schwache Familien und Migranten falsche Anreize setzen, ihre Kinder von frühkindlicher Bildung fernzuhalten. Belastbare Zahlen gibt es dazu aus Deutschland noch nicht.

Spielarten des Betreuungsgelds gibt es dagegen schon lang in skandinavischen Ländern, also just bei Vorreitern der Chancengleichheit für Frauen. Zugleich sind die Studienergebnisse aus dem Norden aber nicht sehr erbauend: Demnach seien unter den Empfängern überproportional viele Mütter mit geringem Einkommen, niedrigem Bildungsniveau und Migrationshintergrund. (strei/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2015)

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