Türkische Jets griffen offenbar erneut PKK-Stellungen im Nordirak an

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Kritiker glauben, dass die Türkei den Kampf gegen den IS auch nützt um gegen Oppositionelle im eigenen Land vorzugehen.

Türkische Kampfjets haben einem Medienbericht zufolge erneut Stellungen der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Nordirak bombardiert. Der Sender CNN Türk berichtete am Sonntagabend, F-16 Jets seien vom Luftwaffenstützpunkt im südosttürkischen Diyarbakir aufgestiegen und hätten die Region Hakurk im Nordirak bombardiert. Es gab zunächst keine Bestätigung für die Berichte.

Unterdessen erklärte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu im Gespräch mit Chefredakteuren am Samstag nach Angaben der Zeitung "Hürriyet", die Türkei plane keinen Einsatz von Bodentruppen in Syrien. Aber Ankara wolle die Einheiten am Boden, die mit der Türkei zusammenarbeiteten, schützen, schrieb das Blatt in der Nacht auf Montag weiter. Die Ankündigung der Regierung gegen die jihadistische Organisation "Islamischer Staat" (IS) sowie andere Extremisten vorgehen zu wollen, wird weithin als radikale Wende und Aufgabe der Zurückhaltung gegen die IS-Anhänger interpretiert. Kritiker und Beobachter gehen demgegenüber davon aus, dass Ankara das Chaos sowie eine Bekämpfung der IS-Jihadisten als Vorwand benützt, um gegen Oppositionelle im eigenen Land vorzugehen - auch in Hinblick auf immer wahrscheinlich werdendere Neuwahlen.

Konflikt mit Kurden angeheizt

Davutoglu wurde von dem Blatt ferner mit den Worten zitiert, die syrisch-kurdische Partei PYD könnte einen Platz im "neuen Syrien" haben. Voraussetzung sei allerdings, dass sie sich nicht gegen die Türkei richte, alle Verbindungen zur Verwaltung von Syriens Staatspräsident Bashar al-Assad kappe und mit Oppositionstruppen zusammenarbeite.

Die Luftangriffe der türkischen Armee gegen PKK-Lager im Nordirak heizen den Konflikt mit den Kurden wieder an. Die brüchige Waffenruhe ist damit nach mehr als zwei Jahren praktisch beendet. Die PKK erklärte am Samstag, die vor zwei Jahren ausgerufene Waffenruhe sei nicht mehr von Bedeutung. Indirekt erhielt Ankara Rückendeckung der US-Regierung. "Die USA stufen die PKK ausdrücklich als Terrororganisation ein", betonte Präsident Barack Obamas stellvertretender Sicherheitsberater Ben Rhodes in Nairobi.

Kampfjets der türkischen Luftwaffe waren am Freitag aufgestiegen, um zunächst erstmals grenznahe Stellungen der jihadistischen Organisation "Islamischer Staat" (IS) in Syrien anzugreifen. Anschließend bombardierten türkische Jets PKK-Lager im benachbarten Irak. Die Angriffe dauerten bis Samstag. Am Wochenende kam es erneut zu Anschlägen auf Sicherheitskräfte und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Ein Auto-Bombenanschlag am Sonntag, bei dem in der Provinz Diyarbakir zwei türkische Soldaten getötet und vier weitere verletzt wurden, wurde von türkischer Seite der PKK angelastet.

Keine Zurückhaltung gegen Jihadisten mehr

Die Angriffe auf IS-Stellungen in Syrien durch das türkische Militär wird weithin als radikale Wende und Aufgabe der jahrelangen Zurückhaltung gegenüber den Jihadisten interpretiert. Beobachter und türkische Regierungskritiker gehen aber davon aus, dass Ankara die Gelegenheit vor allem dazu nutzt um gegen Oppositionelle im eigenen Land vorzugehen.

Der IS kontrolliert Teile Nordsyriens an der Grenze zur Türkei. Das größte Gebiet wird jedoch inzwischen von syrisch-kurdischen Milizen (YPG) kontrolliert, die gegen die IS-Extremisten kämpfen und der PKK nahe stehen. Die Gewinne, die die syrischen Kurden sowohl gegen die Extremisten als auch territorial bereits für sich verbuchen konnten, versetzt die Türkei allerdings in Alarmbereitschaft: Ankara befürchtet, dass dies etwa die Autonomiebestrebungen der türkischen Kurden beflügeln könnte.

Zeitgleich mit den Angriffen gingen türkische Sicherheitskräfte bei Razzien in Istanbul und anderen Städten gegen mutmaßliche Anhänger des IS sowie der PKK und anderer linker Gruppierungen vor. Dabei wurden nach türkischen Angaben fast 600 Menschen festgenommen. Die Festnahmen gingen am Sonntag weiter.

Friedensprozess mit Kurden nicht aufgeben

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonierte am Sonntag mit Davutoglu. Nach Angaben eines Vize-Regierungssprechers appellierte sie an die türkische Regierung, im Kampf gegen den Terrorismus nicht den Friedensprozess mit den Kurden aufzugeben. Die 2012 initiierten Friedensgespräche mit den Kurden waren immer wieder ins Stocken geraten.

Auslöser der jüngsten Eskalation waren ein Anschlag in der südlichen Stadt Suruc mit mehr als 30 Toten, für den der IS verantwortlich gemacht wird, und Gefechte mit IS-Kämpfern an der syrisch-türkischen Grenze. Die PKK hatte am Mittwoch nach eigenen Angaben zwei Polizisten im Bezirk Ceylanpinar erschossen. Die Organisation nannte die Tat eine Vergeltung für den Suruc-Anschlag, sie warf den Beamten Kollaboration mit dem IS vor.

Der Istanbuler Gouverneur verbot einen Gedenkmarsch der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP für die Opfer von Suruc. Die Organisatoren sagten die Veranstaltung daraufhin ab. Die HDP warf Staatspräsident und AKP-Mitbegründer Recep Tayyip Erdogan zudem vor, die chaotische Situation ausnutzen zu wollen, um seine Macht zu erhalten. Bei immer wahrscheinlich werdenden Neuwahlen spekuliere Erdogan auf einen Stimmenzuwachs der AKP.

IS "Hauptbedrohung der nationalen Sicherheit"

Die HDP überwand bei den Parlamentswahlen am 7. Juni zum ersten Mal die Zehn-Prozent-Hürde. Zurzeit befindet sich die AKP in Koalitionsgesprächen mit der Mitte-Links-Partei CHP.

Das türkische Außenministerium erklärte den IS offiziell zur "Hauptbedrohung der nationalen Sicherheit". Ab sofort beteilige sich die Luftwaffe des Landes am US-geführten internationalen Militäreinsatz gegen die Jihadisten. Vom IS befreite Gebiete im Norden Syriens sollten "freie Zonen" werden, sagte Außenminister Mevlut Cavusoglu. Zugleich erhielten die USA nach langem Drängen die Erlaubnis, Stützpunkte in der Türkei für Angriffe auf die Extremisten zu nutzen.

Auf Antrag der Türkei kommen die Botschafter der 28 NATO-Mitgliedsstaaten am Dienstag zusammen. Das Land habe Beratungen nach Artikel 4 des NATO-Vertrages beantragt, teilte das Bündnis am Sonntag in Brüssel mit. Artikel 4 sieht Beratungen vor, wenn ein NATO-Mitglied meint, dass die Unversehrtheit des eigenen Territoriums, die politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht ist.

(APA/dpa/Reuters/AFP)

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