Neue Marinedoktrin: Russland zeigt seine Muskeln jetzt auch zur See

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Vor allem im Atlantik und in der Arktis will die russische Seekriegsflotte verstärkt Flagge zeigen. Die Marine wird deshalb modernisiert und ausgebaut. Bis 2020 sollen 100 neue Kriegsschiffe ihren Dienst aufnehmen.

Kaliningrad/Wien. Wo immer es kann, zeigt Russland derzeit der Außenwelt seine Muskeln: zu Lande (im hybriden Krieg in der Ostukraine); in der Luft (durch das Eindringen in den Luftraum von Nato-Staaten) und nun verstärkt auch zur See. Am vergangenen Sonntag, dem Tag der Kriegsmarine, fuhren mächtige Kriegsschiffe in den Häfen von Petropawlowsk (Kamtschatka), Wladiwostok, Severomorsk (Region Murmansk), St. Petersburg, Sewastopol (russisch annektierte Krim) und Baltijsk (dt. Pillau) auf und vollführten Manöver. Dort, in der Exklave Kaliningrad, war Präsident Wladimir Putin persönlich zugegen und ließ sich von Dmitrij Rogosin, dem chauvinistischen Vizepremier, die neue russische Marinedoktrin erklären.

Fokus auf Arktis und Atlantik

Wie in der bereits im Dezember verabschiedeten neuen Militärdoktrin wird auch in der überarbeiteten 46 Seiten starken Marinedoktrin der Westen – konkret die Nato – als größte Bedrohung der Sicherheit Russlands gesehen. „Die wichtigsten Akzente der Marinedoktrin liegen auf der Arktis und dem Atlantik“, tat Rogosin in Baltisk kund. „Die Schwerpunktsetzung Atlantik hat damit zu tun, dass die Nato dort neuerdings sehr aktiv ist und sich unseren Grenzen annähert.“

Offenbar wieder ein gelungenes Manöver der Russen, meinen westliche Militärexperten: Mit seiner Aggressionspolitik gegen die Ukraine weckt Moskau die dösende Nato auf, die daraufhin ihren östlichen Mitgliedern militärisch unter die Arme greift, um sie sicherheitspolitisch wieder aufzurichten – was dann wiederum die Russen als neues Argument für ihre Aufrüstungspläne verwenden.

Die Aufmöbelung und Stärkung der Kriegsmarine stehen freilich schon seit einiger Zeit auf der Aufgabenliste zur Modernisierung der russischen Streitkräfte. Bis 2020 sollen bis zu 100 neue Kriegsschiffe in Dienst gestellt werden – darunter 25 Korvetten, 15 Fregatten und 24 U-Boote. Allein bis Ende dieses Jahres sollen sich nach Auskunft von Admiral Wiktor Tschirkow, dem Oberkommandierenden der Marine, zehn neue Kriegsschiffe und über 40 Unterstützungsschiffe zu seiner Flotte dazugesellen. Bis die russische Kriegsmarine auch mit einem Superflugzeugträger durch die Weltmeere pflügen kann, werden allerdings noch mindestens 15 Jahre vergehen.

Neue Eisbrecher und U-Boote

Forcieren wollen die Russen dafür den Aufbau einer Flotte aus Atomeisbrechern, wie Rogosin sagte. Er ist federführend mit den russischen Projekten in der Arktis betraut, wo die Anrainerstaaten nervös darauf warten (neben Russland, Kanada, den USA, Norwegen und Dänemark/Grönland), bis das Eis schmilzt und die dort lagernden Ressourcen (u.a. 13Prozent der vermuteten Erdölreserven und 30Prozent der Erdgasreserven) angezapft werden können. 2017, so Rogosin, soll der erste der neuen Atomeisbrecher den Dienst aufnehmen. Auch die Stärkung der U-Boot-Flotte bildet einen Schwerpunkt der Marine-Aufrüstung.

Sowohl neue Jagd-U-Boote als auch weitere, mit Kernwaffen ausgestattete Atom-U-Boote sollen in den nächsten Jahren angeschafft werden. Die neue Borei-Klasse soll das Rückgrat des seegestützten Kernwaffenpotenzials werden, drei von diesen Unterwasserbooten gibt es schon. Jedes dieser Boote hat 16 Bulava-Raketen (Reichweite bis zu 8300 Kilometern; jede einzelne Bulava hat sechs bis zehn Kernsprengköpfe). Nach zahlreichen fehlgeschlagenen Tests mit der Bulava (acht von 23) verliefen zuletzt drei Versuchsflüge erfolgreich.

Während in der neuen Marinedoktrin um freundschaftliche Beziehungen zur Volksrepublik China gebuhlt wird, um sich gemeinsam der Dominanz der USA im Pazifik entgegenstellen zu können, muss Russland im Mittelmeer auf die eigene Stärke bauen. In den Kriegshafen Sewastopol auf der Krim soll stark investiert werden. Wie dringend notwendig dort eine Modernisierung der Flotte ist, zeigte sich am Tag der Kriegsmarine, als eine fehlgeleitete Rakete fast in einem Kriegsschiff einschlug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2015)

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