Der türkische Präsident fordert die Aufhebung der Immunität von kurdischen Politikern. Nato-Sondersitzung in Brüssel.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan geht entgegen der Warnungen europäischer Politiker voll auf Konfrontationskurs gegen die PKK. Erdogan kündigte den Friedensprozess mit den Kurden neuerlich auf. Es sei unmöglich, diesen Weg mit denjenigen fortzusetzen, die die nationale Einheit gefährdeten, sagte der Staatschef am Dienstag vor Journalisten in Ankara. Er forderte das Parlament auf, die Immunität von Politikern mit Verbindungen zu "terroristischen Gruppen" aufzuheben.
Die Türkei geht seit einigen Tagen massiv gegen mutmaßliche kurdische Extremisten im Land und im Norden des Irak sowie gegen die radikalislamische IS-Miliz in Syrien vor. Anlass sind mehrere tödliche Anschläge im von Kurden bewohnten Südosten der Türkei, für die der IS und die verbotene Arbeiterpartei PKK verantwortlich gemacht werden. Am Dienstag wurde laut Armee ein in zivil gekleideter Soldat von PKK-Anhängern erschossen. Am späten Montagabend wurde zudem nach türkischen Angaben eine Gaspipeline sabotiert. Der Anschlag trägt die Handschrift der PKK. In der osttürkischen Provinz Mus sprengte die PKK nach eigenen Angaben eine Brücke über einer Fernstraße in die Luft.
Nato: Soliarität mit der Türkei
Erdogan forderte parallel die Nato zur Unterstützung seines Anti-Terror-Kampfs auf. Er gehe davon aus, dass sich die Allianz auf ihrem Sondertreffen in Brüssel bereiterkläre, die notwendigen Schritte zu unternehmen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, es sei richtig, das Treffen zum jetzigen Zeitpunkt abzuhalten, um über die Instabilität "vor der Haustür der Türkei und an der Nato-Grenze" zu beraten. "Die Nato verfolgt die Entwicklungen sehr genau, und wir stehen unserem Verbündeten Türkei in starker Solidarität bei."
Während der Kampf gegen die Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) von den Nato-Partnern der Türkei begrüßt wird, kritisieren die europäischen Verbündeten das Vorgehen gegen die Kurden als Gefahr für den Friedensprozess mit der PKK. Dieser läuft seit 2012. Seit März 2013 gilt eine Waffenruhe, die bis vor kurzem zwar brüchig war, aber doch weitgehend eingehalten wurde. Am Sonntag hatte die PKK angesichts des Vorgehens der türkischen Sicherheitskräfte die Waffenruhe für beendet erklärt, nicht aber den gesamten Friedensprozess.
HDP-Chef dementiert Terrorverbindung
Kritiker sehen in dem gleichzeitigen Vorgehen gegen den IS und die PKK den Versuch Erdogans, innenpolitisch seine Macht auszuweiten. Bei der Wahl im Juni hatte die regierenden AKP erstmals seit 2002 ihre absolute Mehrheit im Parlament verloren. Ein Grund dafür war der Zustrom für die prokurdische HDP. Erdogan hat der Partei jüngst Verbindungen zur PKK unterstellt. HDP-Chef Selahattin Demirtas wies am Dienstag jegliches Fehlverhalten seiner Partei zurück. "Unser einziges Verbrechen war es, dass wir 13 Prozent der Stimmen gewonnen haben." Demirtas warf Erdogan zugleich vor, einen geplanten Aufruf des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan zur Niederlegung der Waffen durchkreuzt zu haben.
Kein Wort über Angriffe gegen Kurden
Die Nato hat bei ihrer Sondersitzung am Dienstag die jüngsten Terrorangriffe auf die Türkei scharf verurteilt. Terrorismus "in all seinen Formen und Ausprägungen darf niemals toleriert oder gerechtfertigt" werden, heißt es in einer Stellungnahme des Bündnisses. Die Angriffe der Türkei auf Kurden wurden mit keinem Wort erwähnt.
In der Stellungnahme wird darauf verwiesen, dass die Nato auf Antrag der Türkei zu Beratungen unter dem Artikel 4 zusammengekommen sei. Dabei gehe es darum, dass die "Nato-Staaten jederzeit beraten, wenn die territoriale Integrität, die politische Unabhängigkeit oder Sicherheit eine der Parteien bedroht ist". Die Türkei habe das Treffen angesichts der Ernsthaftigkeit der Situation nach den jüngsten Terrorangriffen gefordert, um die anderen Mitgliedsstaaten über die getroffenen Maßnahmen zu informieren.
Gemeinsame Erklärung gegen Terror
"Wir verurteilen auf das Schärfste die Terrorangriffe gegen die Türkei und sprechen der türkischen Regierung und den Familien der Opfer in Suruc und anderen Attacken gegen Polizei- und Militäreinheiten unser Mitgefühl aus. Terrorismus stellt eine direkte Bedrohung für die Sicherheit der Nato-Länder sowie für die internationale Stabilität und den Wohlstand aus". Es handle sich um eine globale Bedrohung, die keine Grenzen, keine Nationalitäten oder Religion kennt. Diese Herausforderung gegen die internationale Gemeinschaft müsse gemeinsam bekämpft werden, hieß es.
Terrorismus dürfe in keiner Art und Weise toleriert oder gerechtfertigt werden. Die Sicherheit der Allianz sei "unteilbar, und wir stehen in starker Solidarität zur Türkei".
(APA/DPA/Reuters)