Deutschland: Plädoyer für restriktivere Flüchtlingspolitik

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Viele Bundesländer und Kommunen ächzen unter dem Ansturm der Asylwerber - vor allem aus den Balkanstaaten. Ministerpräsidenten Seehofer und Kretschmann treten für raschere Abschiebung ein.

Wien/Berlin. Die Bundespolitik hat sich in Sommerpause begeben, Angela Merkel gönnt sich in Südtirol eine Auszeit von der Griechenland-Krise. Doch unvermittelt kocht in Deutschland die Flüchtlingsproblematik hoch, was sich punktuell indessen bereits seit Längerem abgezeichnet hat. Wie explosiv die Stimmung in manchen Teilen des Landes ist, belegen Anschläge auf Asylantenheime, Ausschreitungen und Protestkundgebungen vor Zeltstädten in Sachsen oder Angriffe gegen Lokalpolitiker.

Als Erster hatte Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef, Horst Seehofer, die Nase in den Wind gehängt. Er schlug Schnellverfahren über Asylanträge von Flüchtlingen aus den Staaten des Westbalkans und die Errichtung von Abschiebelagern an der bayerisch-österreichischen Grenze vor. Aus Berlin schlug ihm vielfach Ablehnung entgegen, doch in den Bundesländern war ihm der Applaus vieler Regional- und Kommunalpolitiker sicher, die mit einem Ansturm der Asylwerber konfrontiert sind.

Es sei „drei Minuten vor zwölf“: So dramatisch fasste der CDU-Politiker Joachim Walter die Stimmung in seinem Landkreis in Baden-Württemberg zusammen. Vor allem die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ächzen unter dem Andrang, manche Kommunen sind bereits völlig überlastet, und die Nerven liegen blank. In Nordrhein-Westfalen rechnet das Innenministerium in Düsseldorf heuer allein mit 100.000 Asylwerbern – fast die Hälfte strömt aus dem Balkan nach Deutschland.

Streichung des Taschengelds

Innenminister Thomas de Maizière hatte jüngst schon vor einem Kollaps des Aufnahmesystems gewarnt. Noch seien die Kapazitäten der Kommunen indes nicht ausgeschöpft, heißt es. Doch die Politik sieht zunehmend Handlungsbedarf, und als treibende Kraft aus den Bundesländern hat sich neben Horst Seehofer just ein Grüner etabliert – Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, dem das Attribut „bürgerlich“ anhängt. Er sei keineswegs ein Law-and-Order-Politiker, erklärte er, nachdem er mit einem Plädoyer für eine restriktivere Flüchtlingspolitik vorgeprescht war – etwa der Streichung des Taschengelds.

Bei einer Bürgerversammlung in Heidelberg, wo eine ehemalige Wohnsiedlung für US-Militärangehörige vor Asylwerbern aus allen Nähten platzt, hatte sich die baden-württembergische Integrationsministerin, Bilkay Öney, neulich Buhrufe eingehandelt. Die Heidelberger seien eben keine „schwarzen Köpfe“ gewohnt, hatte sie flapsig eingestreut. Als nun Kretschmann selbst nach dem Rechten sah, versprach er rasche Abhilfe für die Missstände.

Auch der Obergrüne aus Stuttgart tritt für eine rasche Abschiebung der Flüchtlinge aus den Balkanstaaten ein – weniger als ein Prozent hat eine Chance auf Asylstatus. Die Asylverfahren ziehen sich indessen länger als ein Jahr hin. Aus den Bundesländern erhöht sich darum der Druck auf die Regierung in Berlin, Albanien, den Kosovo und Montenegro – wie zuvor Serbien, Mazedonien oder Bosnien und Herzegowina – die Klassifizierung „sicherer Herkunftsstaat“ zuzubilligen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2015)

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