Tod des einäugigen Terrorfürsten?

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Mullah Omar, Führer der afghanischen Taliban, soll schon vor zwei Jahren gestorben sein. Die Extremisten könnten durch die IS-Terrormiliz weiter unter Druck geraten.

Wien/Kabul. Er klang noch ganz lebendig vor zwei Wochen. Jedenfalls bemühten sich die Taliban um den Eindruck, ihr legendärer Anführer Mullah Omar sei wohlauf und noch in Amt und Würden. Kurz vor dem Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan hatten sie eine Botschaft des Terrorfürsten im Internet veröffentlicht, in der dieser die ersten direkten Gespräche zwischen Taliban-Gesandten und afghanischen Regierungsvertretern als „legitim“ begrüßte. Alles Täuschung?

Dabei soll Omar laut dem afghanischen Geheimdienst schon im April 2013 in einem Spital in der pakistanischen Metropole Karachi „unter mysteriösen Umständen“ gestorben sein. Die afghanische Regierung in Kabul bestätigte diese Version – ebenso wie pakistanische Regierungsvertreter. Eine offizielle Erklärung der Taliban selbst stand zunächst noch aus, doch auch sie gehen vom Tod ihres Führers aus.

Omar galt lange als einer der meistgesuchten Terroristen weltweit. Er war Mitgründer der Taliban-Bewegung Anfang der 1990er-Jahre, einem Zusammenschluss von radikalen Studenten von Koranschulen. Von 1996 bis zum Einmarsch der US-geführten Allianz 2001 in Afghanistan führte er als „Herrscher der Gläubigen“ die Taliban-Regierung in Kabul. Dann dirigierte er aus dem Untergrund heraus den Krieg der Extremistengruppe gegen die internationalen Truppen. Die USA setzten ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar auf ihn aus.

Die Taliban-Biografie

Wenig ist sonst über den Mann bekannt, der seit 2001 nicht mehr öffentlich gesichtet wurde. Laut einer von den Taliban verfassten Kurzbiografie, die erst im April dieses Jahres veröffentlicht wurde, stammt Omar aus der Provinz Kandahar im Süden Afghanistans und wurde 1960 geboren. Demnach gab er sein Studium an einer Koranschule auf, als die Sowjetunion 1979 in Afghanistan einmarschierte, und widmete sich fortan dem Heiligen Krieg. In den Kämpfen gegen die Russen soll er mehrfach verwundet worden sein und dabei sein rechtes Auge verloren haben. Ansonsten preisen die Taliban in der Biografie seine Ruhe und seinen „besonderen Sinn für Humor“.

Omars Aufenthaltsort wurde in den vergangenen Jahren stets auf der pakistanischen Seite nahe der Grenze zu Afghanistan vermutet. Öfter schon tauchten Gerüchte über seinen Tod auf, die von den Taliban bisher aber immer rasch dementiert wurden. Über das Wie seines Todes gab es indessen widersprüchliche Angaben. „Wir haben die Bestätigung von den pakistanischen Behörden und Taliban-Quellen, dass er vor zwei Jahren an einer Krankheit in Pakistan gestorben ist“, zitierte die Nachrichtenagentur DPA eine anonyme Quelle. In anderen Berichten in Berufung auf pakistanische Quellen hieß es, er sei von Vertretern der Taliban-Splittergruppe Fidai-e Mahaz getötet worden.

Die pakistanische Armee geht seit Monaten in einer Großoffensive gegen die Taliban in der Grenzregion vor und hat Islamisten im ganzen Land den Kampf angesagt. So wurde am Mittwoch auch der festgenommene Anführer der militanten Islamistengruppe Lashkar-e-Jhangvi, Malik Ishaq, und mehrere seiner Anhänger nach einem Befreiungsversuch bei Zusammenstößen mit der Polizei in der Provinz Punjab erschossen – auch Ishaq war ein von den USA gesuchter Terrorist.

Konkurrenz durch den IS

Warum sollten die Taliban den Tod ihres Anführers verleugnen? Seit Monaten wächst unter den afghanischen Extremisten die Sorge vor einem Erstarken der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Der professionell inszenierte Führerkult um IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi hat auch unter den Taliban die Debatte über ihren entschwundenen Anführer verstärkt, einzelne Kommandeure sollen dem IS bereits die Treue geschworen haben.

Das kann ein Grund gewesen sein, die Omar-Biografie zu seinem 19. Jahrestag an der Spitze der Extremistenbewegung zu veröffentlichen. Auch die vergleichsweise milde gehaltene Erklärung zu den Friedensgesprächen vor zwei Wochen ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Ein noch deutlicheres Zeichen dafür, wie sehr die Taliban um ihre Einheit und den Herrschaftsanspruch in Afghanistan fürchten, ist ein Schreiben an Baghdadi Mitte Juni. Darin warnten die Taliban den IS-Chef, seine Macht auf ihr Territorium auszuweiten: „Es gibt keinen Platz für eine weitere islamische Armee in Afghanistan.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2015)

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