Türkei: Vizepremier Arınç verbietet Kurdin den Mund

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"Sei als Frau still": Der notorisch ausfällige türkische Politiker ist erneut durch einen Verbalangriff auf eine Frau in die Schlagzeilen geraten. In einer Parlamentsdebatte herrschte er eine Abgeordnete an. Die Empörung ist groß.

Istanbul. Bülent Arınç ist einer der besten Redner der Türkei. Selbst politische Gegner rühmen die geschliffene Rhetorik des 67-jährigen Anwalts, der zu den Mitbegründern der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan gehört. Und doch gehen Arınç, dem führenden Vertreter des religiösen Parteiflügels, hin und wieder die Pferde durch. Das geschieht besonders häufig dann, wenn es um Frauen geht, die sich aus seiner Sicht ungebührlich verhalten.

Derzeit findet sich Arınç, der auch als Sprecher der Regierung von Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu fungiert, einmal mehr ungewollt in den Schlagzeilen wieder. In einer Parlamentsdebatte zu den türkischen Luftangriffen auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und die PKK-Kurdenrebellen wehrte sich Arınç gegen Zwischenrufe der kurdischen Angeordneten Nursel Aydoğan: „Sei still“, sagte Arınç zu der Politikerin. „Sei als Frau still.“

Damit wurde Arınç sofort zum unfreiwilligen Star in den sozialen Netzwerken der Türkei. Unter dem Hashtag „BirKadinOlarakSusmayacagiz“ (Als Frau werden wir nicht schweigen) sammelten sich auf Twitter Tausende von Kommentaren. Der Vizepremier habe wohl Angst vor der Freiheit der Frauen, lautet eine Reaktion.

Es ist nicht das erste Mal, dass Arınç mit merkwürdigen Aussagen über Frauen von sich reden macht. Vor fast einem Jahr beklagte er einen Verfall der Sitten in der Türkei und fügte hinzu, die Sittsamkeit wäre ein hohes Gut. Bei Frauen gehört laut Arınç dazu, sich zurückhaltend zu kleiden und „nicht vor allen Leuten laut loszulachen“. In den sozialen Medien tauchten prompt mehrere hundert Fotos lachender Türkinnen auf.

In den vergangenen Jahren hatte Erdogan mit Vorstößen für Alkoholverbote, eine Bestrafung des Ehebruchs und für ein Verbot gemischt-geschlechtlicher Wohngemeinschaften die Angst vor einer Islamisierung der Türkei angefacht. Die Äußerungen von Arınç gelten als Ausdruck der Wertvorstellungen einer Regierung, die nach Meinung ihrer Kritiker immer mehr in das Privatleben der Bürger eingreift und die Gesellschaft nach islamisch-konservativem Vorbild formen will.

Auch außerhalb des Parlaments hat Arınç immer wieder mit vielfach als frauenfeindlich verstandenen Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht. In seiner Heimatstadt Bursa etwa sprach er über den moralischen Zustand des Landes. „Wo sind die Mädchen, die leicht errötend die Augen niederschlagen, wenn sie uns anschauen, und so zu Symbolen der Sittsamkeit werden?“, fragte er. Das richtige Mittel, den Verfall aufzuhalten, ist für Arınç die Lektüre des Korans und das daraus folgende tugendhafte Verhalten. Dazu gehört für ihn offenbar auch, dass Frauen nicht dazwischenreden, wenn ein Mann spricht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2015)

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