Jordanien als Wartesaal: "Ich will wieder heim – oder nach Europa"

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Der Wüstenstaat ist im fünften Kriegsjahr mit den Kräften am Ende – so wie Syriens Flüchtlinge, die hier gestrandet sind. Viele wollen weiterziehen.

Mohammad ist Kellner. Wieder einmal. Der Krieg in Syrien hat den Jordanier zweimal den Job gekostet. „Ich habe 300 Dinar (rund 380 Euro) im Monat verdient. Beide Male kamen syrische Flüchtlinge, die es um 150 Dinar machten.“ Der junge, groß gewachsene Mann steht auf der Dachterrasse einer Designerbar in Amman, hinter ihm blitzen die Lichter der jordanischen Hauptstadt, die sich auf 19 Hügeln bettet.

Im Rücken Ammans breitet sich eine Steinwüste aus, in deren Städten und Lagern nun ein guter Teil der fast 630.000 registrierten Flüchtlinge aus Syrien gestrandet ist. Eine Autobahn durchschneidet diese karge Landschaft gen Norden. Müll säumt die Fahrbahn. Der Syrer Mohammed lebt von diesem Abfall. Eisenhändler war er in der Heimatstadt Homs. Nun sammelt der bärtige Familienvater Plastik für 65 Euro. Im Monat. „Zweimal hat ihn die Polizei erwischt“, sagt die 22-jährige Ehefrau, die das kindliche Gesicht in ein Kopftuch gehüllt hat. „Sie drohen, ihn beim dritten Mal nach Syrien abzuschieben.“

Der sechsjährige Sohn Inura, bisher in die Zeichentrickserie „Turtles“ vertieft, schaut kurz auf und dreht den Fernseher lauter, während sich die eineinhalbjährige Schwester Break im lila Kleid den Fruchtsaft zielsicher im Gesicht verschmiert.
In den zwei Geschichten spiegeln sich die beiden Seiten der Flüchtlingskrise: da ein Familienvater, der wie die meisten Syrer keine Arbeitserlaubnis erhält und nun in der Not den herumliegenden Müll und so die Hälfte der 130-Euro-Miete für die kleine desolate Rohbauwohnung zusammenkratzt, an deren Wänden sich im kalten Wüstenwinter die Feuchtigkeit festsetzt. Dort der Kellner in Amman, der wie die jordanische Gesellschaft unter der Last der Flüchtlingswelle ächzt und stöhnt, unter dem Boom des Schwarzmarkts, der die Löhne drückt, unter der Nachfrage nach Wohnraum, die regional die Mietpreise verdreifacht hat, unter den überfüllten Spitälern und Schulen, die nicht einmal für alle jordanischen Kinder Platz bieten, geschweige denn für alle syrischen. Auch dem Sohn des Plastiksammlers bleibt der Schulbesuch in seinem neuen Zuhause in Mafraq verwehrt, einer Stadt nahe der Grenze Syriens mit 70.000 Einwohnern, aber 80.000 Flüchtlingen, dieselbe Zahl also, die Österreich 2015 an Asylwerbern erwartet. „Die Situation in Österreich ist eine Herausforderung, aber eine bewältigbare“, sagt Caritas-Auslandsgeneralsekretär Christoph Schweifer. „Die Situation in Jordanien ist ein wirkliches Problem.“

Wasserknappheit. Zumal dieses Königreich, etwa so groß wie Österreich, an akuter Ressourcenarmut krankt. Nur drei Länder der Welt sitzen auf weniger Wasserreserven. „Ich weiß nicht warum, aber alle um uns herum haben auch Öl, nur wir nicht“, sagt ein Mitarbeiter von Caritas Jordanien halb im Scherz. Die Nachbarländer haben auch weit mehr Probleme. Wegen der Konflikte ringsherum schwächelt der Tourismus, obwohl Jordanien noch immer einigermaßen stabil ist. Der Fluch der geopolitischen Lage eben. Seit jeher bahnen sich Flüchtlingsströme ihren Weg in das Königreich der Haschemiten: Ab 1948 kamen die Palästinenser aus dem Westen, die heute die knappe Mehrheit unter den 6,5 Millionen jordanischen Staatsbürgern im Land stellen, dann die Iraker aus dem Nordosten, nun die Syrer aus dem Norden (die Dunkelziffer soll bei 1,5 Mio. liegen) und dann wieder die Iraker, tausende Christen, die etwa aus Mossul vor der IS-Terrormiliz geflohen sind.

Unter der Oberfläche greift nun eine Angst um sich, zumal sich Jordanien mit seinen Luftangriffen gegen den IS an der Seite seines engen Verbündeten, den USA, exponiert hat. Im Februar schreckte der Tod eines über Syrien abgestürzten jordanischen Piloten das Königreich auf: Bei lebendigem Leib haben ihn die IS-Terroristen verbrannt. Amman reagierte wie immer, mit Härte, richtete zwei Gefangene hin – und doch spaltet die Frage, ob der Kampf gegen den IS „ihr Krieg“ ist, das sunnitische Land. Ein paar IS-Flaggen sollen vor Monaten bei Kundgebungen im armen Ma'an im Süden aufgetaucht sein, bis zu 2000 Jordanier kämpfen in Syrien. Zugleich gibt es Berichte, wonach der IS hier in Jordanien mit mehr als 5000 Euro lockt, viel Geld in einem Land, wo kleine Flüchtlinge für ein paar Euro am Tag in Kinderarbeit gezwungen werden.
Amman hat nun in dieser humanitären Krise trotz aller Gastfreundschaft „die Sicherheit zum Imperativ erhoben“, wie es eine Sprecherin des Fllüchtlingshochkommisariats UNHCR in Amman ausdrückt und wie das gepanzerte Fahrzeug mit MG-Geschütz am Eingang zu Zaatari, dem zweitgrößten Flüchtlingslager der Welt, bezeugt.
Für viele Syrer ist Jordanien nur ein Wartesaal. In Zaatari spürt man das an jeder Ecke: In diesem Meer aus weißem Wellblech mit 81.000 Flüchtlingen stehen sich junge Menschen Löcher in den Bauch, leben von der Hand in den Mund, klagen darüber, ihre Würde verloren zu haben in diesem Flüchtlingsdasein, von dem hier viele dachten, es würde nur kurz dauern. Doch aus den Wochen wurden Monate, aus den Monaten Jahre. Kriminalität, Spannungen, mangelnde Hygiene, kein Fließwasser: Viele fliehen aus diesem Käfig, tauchen in der Schattenwirtschaft ab, obwohl sie in Zaatari versorgt wären.
Die jungen Flüchtlinge blicken nun nach Europa. „Ich will Innenarchitektin werden“, sagt die 15-jährige Tayma. Dann entspinnt sich ein Dialog, wie man ihn hier mit vielen Syrern so oder so ähnlich führt: Ob Tayma in Jordanien bleiben will? „Nein, ich will heim nach Syrien.“ Ob das bald möglich ist? „Inschallah“ (so Gott will). Und wenn nicht? „Europa.“

Für den Plastiksammler ist der Kontinent keine Option. Mehr als 6000 Euro blättert man angeblich für die gefährliche Reise hin. Aber in Mafraq kann Mohammed auch nicht bleiben. Drei Monate ist er mit der Miete in Rückstand, gestern hat das World Food Program die Unterstützung halbiert, für seine Familie waren das bisher 13 Euro pro Kopf und Monat. Und die gewährte Krankenversicherung hat Amman allen Syrern mangels internationaler Hilfe gestrichen.

Der Familienvater überlegt nun, ob er „ins Lager oder zurück nach Syrien“ soll, also durch die Wüste zum letzten offenen Grenzübergang im Osten, dort, wo Assads Leute das Sagen haben, die ihn „drei Monate lang eingesperrt und gefoltert“ hatten und seine beiden Brüder verschwinden ließen. Er spielt mit dem Gedanken. Wie hat die UNHCR-Sprecherin gemeint? „Viele sagen: In Syrien sterben sie einmal, hier jeden Tag.“

Hilfe für Flüchtlinge


Caritas Österreich und Nachbar in Not haben, finanziell unterstützt von der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, seit 2011 vier Millionen Ero für Jordaniens Flüchtlinge aufgestellt.


Mit der diesjährigen Caritas-Kampagne sollen 3000 Kinder für ein Jahr mit Lebensmitteln und Kleidung versorgt und 1150 Kindern der Schulbesuch ermöglicht werden.
Spendenkonto der Caritas:
PSK
IBAN: AT92 6000
0000 0770 0004
BIC: OPSKATWW
Kennwort:
Hungerhilfe

Compliance-Hinweis

Teile der Reise wurden von Sponsoren der Caritas finanziert. Die Caritas selbst hat keine Reisekosten für die Journalisten übernommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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