Türkei: AKP will mit Kurdenkrieg punkten

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Die Gewalt zwischen Ankara und PKK eskaliert: Ein PKK-Attentäter riss zwei Soldaten mit in den Tod, türkische Jets bombardierten kurdische Zivilisten. Die legale Kurdenpartei HDP befürchtet ein Verbotsverfahren.

Istanbul. Zwei Wochen nach Beginn der neuen Konfrontation zwischen der Türkei und den Kurden eskaliert die Gewalt in Ostanatolien: In der Nacht zum Sonntag steuerte ein Selbstmordattentäter der kurdischen PKK in der Nähe des Berges Ararat einen mit zwei Tonnen Sprengstoff beladenen Traktor in ein Gebäude der paramilitärischen Gendarmerie und riss zwei Soldaten mit in den Tod.

Seit Beginn der Gewaltwelle sind laut türkischer Regierung mehrere Dutzend Zivilisten, rund 20 Soldaten und Polizisten sowie 260 PKK-Mitglieder ums Leben gekommen. Bei einem ihrer Angriffe auf PKK-Stellungen sollen türkische Kampfjets im nordirakischen Zargala neun Zivilisten getötet haben, darunter Frauen und Kinder. In PKK-nahen Medien war von einem Massaker die Rede. Zargala liegt in den nordirakischen Kandil-Bergen, wo die PKK ihr Hauptquartier hat. Die türkische Regierung erklärte, sie untersuche den Vorfall, betonte aber, in Zargala hätten sich nur PKK-Mitglieder aufgehalten. Die PKK setzte ihrerseits den Guerillakrieg fort. Neben dem Anschlag am Ararat verübten die Rebellen einen Angriff auf einen Militärkonvoi in der Provinz Mardin und töteten einen Soldaten. Ein baldiges Ende der türkischen Offensive ist nicht zu erkennen: Ziel der Angriffe sei es, „die PKK zu erledigen“, hieß es.

Zugleich sieht sich die legale türkische Kurdenpartei HDP starkem Druck ausgesetzt. HDP-Chef Selahattin Demirtaş befürchtet ein Verbotsverfahren gegen seine Partei. Ein juristischer Berater von Präsident Recep Tayyip Erdogan wies dies zurück. Der Präsident hatte sich erst vor wenigen Tagen gegen ein Parteiverbotsverfahren gewandt und stattdessen die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von führenden HDP-Politikern verlangt. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Demirtaş und seine Ko-Vorsitzende, Figen Yüksekdağ.

Hinter Erdogans Entscheidung, die PKK anzugreifen, die HDP unter Druck zu setzen und den Friedensprozess mit den Kurden aufzukündigen, steckt die Erkenntnis: Die Friedensgespräche der vergangenen zwei Jahre haben der Erdogan-Partei AKP geschadet. Erdogan ist überzeugt, dass der Grund für die Bauchlandung der Partei bei den Juni-Wahlen vor allem ihre Kurdenpolitik war – und dass viele konservative Türken den Friedensprozess mit der PKK ablehnen. Deshalb ist nicht damit zu rechnen, dass der Präsident wieder zum Friedensprozess zurückkehrt.

Kurden aus Nordirak wollen vermitteln

Angesichts der Spannungen meldete sich der Präsident der nordirakischen Kurdenregierung, Masud Barzani, mit Kritik an beiden Seiten zu Wort. Er verurteilte das Bombardement von Zargala und forderte zugleich die PKK auf, das Territorium der nordirakischen Kurden nicht zum Schlachtfeld ihres Kampfes gegen die Türkei zu machen.

Barzanis Kurdenregierung (KRG) hat gute Beziehungen zu Ankara; vor einigen Jahren haben Vertreter zwischen der Türkei und der PKK vermittelt und sind dazu auch heute bereit. Es ist aber unklar, ob die Konfliktparteien darauf eingehen wollen: Die KRG und die PKK, die Stützpunkte im Nordirak unterhält, sind Rivalen im Kampf um die Führungsrolle bei den Kurden. Barzani geht aber einer Konfrontation mit der kampferprobten PKK aus dem Weg. Er hofft auf einen Frieden zwischen der PKK und Ankara. Und anschließend auf einen Abzug der PKK aus seinem Gebiet.

AUF EINEN BLICK

Weitere Infos:www.diepresse.comDer Konflikt zwischen Ankara und der kurdischen Minderheit verschärft sich weiter: Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bekannte sich zu einem Selbstmordanschlag auf Ordnungskräfte in der Osttürkei; Ankara setzte die massiven Luftangriffe auf mutmaßliche PKK-Stellungen im Nordirak fort. Kurdenpräsident Masud Barzani forderte indes den Rückzug der PKK-Kämpfer aus der von ihm regierten autonomen Region im Nordirak.

Die Türkei hatte vor gut einer Woche Angriffe auf Stellungen der IS in Syrien gestartet – zugleich griff sie auch PKK-Stützpunkte an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2015)

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