China: Der lange Schatten des Massakers

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Memoiren von Ex-KP-Chef Zhao werfen neues Licht auf Tiananmen-Blutbad. Zum 20. Jahrestag des Tiananmen-Massakers vom 4. Juni 1989 erhält die Welt einen brisanten Einblick in das Innenleben der chinesischen KP.

PEKING. Rechtzeitig zum 20. Jahrestag des Tiananmen-Massakers vom 4. Juni 1989 erhält die Welt einen brisanten Einblick in das Innenleben der chinesischen KP. Autor ist kein Geringerer als der frühere Parteichef Zhao Ziyang, der Anfang 2005 im Hausarrest starb. Über 15 Jahre wurde der Politiker in einer kleinen Gasse nicht weit vom Tiananmen-Platz im Herzen Chinas festgehalten.

Er war während der Studentendemonstrationen in Ungnade gefallen, weil er einen Militäreinsatz ablehnte. Jetzt ist seine Stimme noch einmal zu hören: Unter dem Titel „Prisoner of the State“ veröffentlicht der US-Verlag Simon&Schuster die Memoiren Zhaos.

Auf 30 Tonbandkassetten, die er heimlich aufnahm und die Vertraute ins Ausland schmuggelten, berichtete Zhao vom Streit innerhalb der chinesischen Parteispitze, bei dem sich die Hardliner um den KP-Patriarchen Deng Xiaoping schließlich durchsetzten. Sie gaben den Schießbefehl, hunderte Menschen starben im Kugelhagel oder wurden von Panzern niedergewalzt – eine „Tragödie“, wie es in Zhaos Erinnerungen heißt.

Gleichzeitig präsentiert sich Zhao als politischer Reformer und Verfechter eines Mehrparteiensystems, einer freien Presse und eines unabhängigen Justizsystems. Das Buch, das auch in einem Hongkonger Verlag publiziert wird, erscheint in einer Zeit, in der die Pekinger Regierung jede öffentliche Erinnerung an das Massaker verhindern will. Es gilt daher als sicher, dass es nicht auf dem chinesischen Festland erscheinen darf.

Aktivisten aus jener Zeit, wie der Philosoph und Hochschuldozent Liu Xiaobo, der die Studenten damals zum Abzug vom Tiananmen-Platz überredet hatte, sitzen derzeit in Haft oder im Hausarrest. Liu gehörte zu den Unterzeichnern der chinesischen Charta 08, die im Dezember im Internet veröffentlicht wurde und mehr Freiheit und Demokratie für China fordert. Zahlreiche kritische Persönlichkeiten werden ständig von der Geheimpolizei beschattet.

Dissidenten hinter Gittern

Einer der Studentenführer von 1989, Zhou Yongjun, wird seit einem halben Jahr ohne Anklage festgehalten. Zhou, der zuletzt in den USA lebte, war über Hongkong zurückgekehrt, um seinen alten Vater zu besuchen. Er sitzt in Sichuan hinter Gittern, ihm wird Betrug vorgeworfen. Der damals 21-jährige Jusstudent war 1989 bekannt geworden, als er am 22. April auf den Stufen der Großen Halle des Volkes kniete. Er wollte die Regierung auf diese Weise bitten, unabhängige Studentenorganisationen zuzulassen. Nach dem Massaker wurde er zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. 1993 reiste er in die USA aus.

20 Jahre nach dem Blutbad sitzen noch immer Demonstranten im Gefängnis. Die US-Menschenrechtsorganisation Duihua schätzt die Zahl auf 30. Die meisten seien damals junge Arbeiter gewesen, die nach den Schüssen der Armee Polizisten und Soldaten angriffen und Eisenbahngleise blockierten, heißt es.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2009)

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