Premier Abadi sucht mit Reformen Rückhalt bei Irakern

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Ein schweres Attentat kostete im Bagdader Schiitenviertel Dutzende Menschen das Leben. Doch solange die Regierenden nur in die eigenen Taschen schaufeln, fehlt ihnen die Unterstützung in der Bevölkerung für den Kampf gegen IS.

Kairo. „Es wird nicht einfach werden“, seufzte Premier Haider al-Abadi im irakischen Fernsehen. „Die Korrupten werden nicht stillhalten.“ Wer Privilegien habe, werde sie verteidigen. „Diese Leute werden jeden unserer Schritte zu sabotieren versuchen.“ Er dagegen sei entschlossen, den Reformweg fortzusetzen, selbst wenn ihn das sein Leben koste, sagte der 63-Jährige in dem dramatischen Auftritt.

Der Regierungschef kennt die politische Klasse seiner Heimat, er war selbst lang genug Teil des verrotteten Systems, in dem Interessenkonflikte auch mit Waffen ausgetragen werden. Gleichzeitig regiert Abadi über ein Land, das zu einem Drittel vom Islamischen Staat (IS) beherrscht wird und in dessen Hauptstadt täglich Bomben hochgehen. Erst am Donnerstag starben bei einem Sprengstoffattentat auf einen Markt im Schiitenviertel Sadr City mehr als 50 Menschen. Die Verantwortung für das Blutbad übernahm der IS.

Allein mit militärischen Mitteln ist der Terrormiliz nicht beizukommen, solange Staat und Regierung nur in die eigenen Taschen schaufeln und keinen Rückhalt im Volk haben. Und so trat Abadi die Flucht nach vorn an, getrieben von neuen Massenprotesten gegen Selbstbereicherung, zerrüttete Infrastruktur und permanente Stromausfälle. „Raus mit den Korrupten, ihr seid alle Diebe!“, skandierten die Menschen bei den jüngsten Demonstrationen.

Prozesse neu aufgerollt

Als dann gleichzeitig noch Großajatollah Ali al-Sistani, die höchste schiitische Autorität, in einer Predigt „drastische Schritte“ gegen die Missstände verlangte, sah der zaudernde Ministerpräsident seine Stunde gekommen. Zwei Tage später präsentierte er Volk und Volksvertretern per Facebook ein siebenteiliges Reformpaket, was zumindest auf dem Papier für den Post-Saddam-Irak einzigartig ist.

Die Posten der drei Vizepremiers und drei -präsidenten werden gestrichen, wovon auch Abadis Vorgänger und Erzrivale, Nouri al-Maliki, betroffen ist. Niedergeschlagene Korruptionsprozesse sollen neu aufgerollt werden. Den aufgeblähten Staatsapparat will der Premier stutzen, den ethnischen und parteipolitischen Proporz bei der Einstellungspraxis abschaffen.

Dieser Missstand führte dazu, dass Führungspositionen fast nur noch an inkompetente Günstlinge vergeben wurden. Krassestes Beispiel sind die Zustände in der irakischen Armee: Generalsposten wurden für Millionensummen verschachert. Die Hälfte aller Soldaten teilte sich den staatlichen Sold mit ihren Offizieren und erschien nie zum Dienst.

„Nelson Mandela des Irak“

Und so gehen angesichts der Dimension der Probleme die Urteile über Abadis Erfolgsaussichten weit auseinander, auch wenn das irakische Parlament seine Agenda einstimmig absegnete. „Die Forderung des Volkes nach radikalen Reformen, flankiert von der absoluten Rückendeckung durch Großajatollah Sistani bedeutet eine Blankovollmacht für Abadi, wie sie noch kein anderer Politiker in der modernen irakischen Geschichte bekommen hat“, urteilt Luay al-Khatteeb von der Brookings Institution in Doha. Sollte Abadi das Unmögliche gelingen, werde er in die Geschichte eingehen – „als der Nelson Mandela des Irak“.

Skeptiker dagegen tun Abadis Reformkatalog als Wunschliste ab, die in wenigen Wochen vergessen sein wird. „Das Ganze ist sehr arm an Details“, kritisiert Zaid al-Ali, Experte des Internationalen Instituts für Demokratie- und Wahlförderung (Idea) in Stockholm. Darum seien die politischen Parteien im Irak auch so zufrieden. „Denn sie verstehen den Reformprozess lediglich als Einladung, alles möglichst schnell wieder zu Fall zu bringen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2015)

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