Griechenland: Tsipras-Gegnern läuft die Zeit davon

Lafazanis attends a news conference at the parliament in Athens
Lafazanis attends a news conference at the parliament in AthensREUTERS
  • Drucken

Nach der Ankündigung von Neuwahlen haben Abtrünnige der regierenden Syriza eine neue Partei gegründet: Die Volkseinheit will weiter gegen die Sparpolitik kämpfen.

Athen. Die Eröffnung des Wahlkampfes glich trotz aller Gerüchte der letzten Tage einem Paukenschlag: Als Griechenlands Ministerpräsident, Alexis Tsipras, Donnerstagabend auf den TV-Schirmen seiner Landsleute erschien, erwischte er seine Gegner wieder einmal auf dem falschen Fuß. Es gab letztlich keine Vertrauensabstimmung im Parlament, sondern gleich seinen Rücktritt. Das sparte wertvolle Zeit – die den abtrünnigen Abgeordneten des regierenden radikalen Linksbündnisses Syriza und den Konservativen nun im Wahlkampf davonläuft.

Tsipras Linie bei seiner TV-Ansprache war entwaffnend: Er habe eine Einigung mit den Gläubigern erreicht, die er in dieser Form nicht angestrebt habe. Deshalb sei sein Mandat an eine Grenze gestoßen. Die Stimmbürger müssten nun entscheiden, ob er richtig gehandelt habe und ob sie ihm zutrauen würden, die Vereinbarung in sozial schonender Form zu realisieren.

Tsipras geht selbstverständlich davon aus, dass sie das tun werden. Da es sich bereits um die zweite Wahl in diesem Jahr handelt, kann der Premier laut griechischer Verfassung das Listenwahlrecht anwenden – normalerweise gilt striktes Vorzugsstimmenrecht. Das heißt, er kann die Namen von Vertretern der innerparteilichen Opposition aus den Listen streichen. Das garantiert ihm eine kompakte Parlamentsfraktion.

Neue Anti-Sparpartei

Die Linke Plattform von Panagiotis Lafazanis reagierte umgehend auf den Rücktritt von Tsipras. Am Freitag gründeten Lafazanis und 25 weitere Abgeordnete eine unabhängige Parlamentsfraktion. Der Name: Volkseinheit. Die neue Partei wird in den nächsten Tagen ihr Programm vorlegen und selbstverständlich bei den Parlamentswahlen im September antreten. Hauptpunkt des Programms: der Austritt aus der Eurozone und das Ende der Sparmemoranden.

Lafazanis bezeichnete am Freitag in einer Pressekonferenz seine neue Partei als einzige konsequente Anti-Sparpartei. Er beschuldigte Tsipras, die Wahlen derart überhastet durchzuführen, weil er das Volk täuschen wolle. Wenn im September gewählt werde, seien die Auswirkungen des neuen Sparpakets noch nicht voll spürbar.

Lafazanis glaubt, dass seine neue Partei nach den Wahlen eine „entscheidende Rolle“ spielen werde. Diese Auffassung des wenig charismatischen Berufspolitikers teilen jedoch nicht alle. Der Austritt aus der Eurozone ist in der griechischen Gesellschaft ein Minderheitenprogramm, außerdem vertreten mit der kommunistischen Partei und der neonazistischen Goldenen Morgenröte zwei weitere Parteien ein antieuropäisches Programm. Den ersten Meinungsumfragen wird jedenfalls mit Interesse entgegengesehen.

Ein publikumswirksames Aushängeschild dürfte Lafazanis gewonnen haben: Die umstrittene Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou soll eine Kooperation mit der Volkseinheit erwägen. Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis hingegen wird nicht mit der neuen Partei in Verbindung gebracht.

Scheitern der Zweitplatzierten

Das Datum der Wahl steht noch nicht endgültig fest. Nach dem Rücktritt von Tsipras werden zunächst die zweit- und drittstärkste Partei im Parlament mit der Regierungsbildung beauftragt. Erst wenn sie scheitern, werden Wahlen ausgerufen. Die Konservativen haben am Freitag bereits Sondierungsgespräche begonnen. Sie sind gegen eine Wahl zum jetzigen Zeitpunkt und wollen die Zeit von drei Tagen, die ihnen zur Verfügung steht, voll ausschöpfen – Chancen auf eine Regierungsbildung haben sie nicht.

Die drittstärkste Partei ist die neonazistische Goldene Morgenröte. Theoretisch müsste ihr Chef, Nikos Michaloliakos, der zur Zeit wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung vor Gericht steht, ebenfalls zum Zug kommen, wenn die Konservativen scheitern.

Für die Konservativen kommt die Wahl sicherlich zu früh. Sie wollten die Führungsfrage erst im Herbst lösen. Umfragen sehen sie im Moment unter 20 Prozent der Stimmen. Der Einzug der Koalitionspartner von Syriza, der rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel), ins Parlament ist offen. Sie liegen zur Zeit knapp um die drei Prozent, was die Hürde für den Einzug ins Parlament darstellt. Gelingt Anel der Einzug nicht, müsste sich Tsipras im Fall seines Sieges einen neuen Koalitionspartner suchen, etwa die gemäßigte Linkspartei Potami.

AUF EINEN BLICK

Neuwahl in Griechenland. Nach dem Rücktritt von Premier Alexis Tsipras finden voraussichtlich am 20. September Parlamentswahlen statt.

Eine Partei braucht mindestens drei Prozent der Stimmen, um ins Parlament einzuziehen. Derzeit sind dort sieben Parteien vertreten, die sich untereinander 300 Mandate teilen. Die Partei, die bei der Wahl am besten abschneidet, bekommt zusätzlich 50 Bonusmandate, ohne dass sich an der Gesamtzahl der 300 Sitze etwas ändert. Das heißt, dass für die absolute Mehrheit der Mandate etwas über 40 Prozent der Wählerstimmen reichen. Allerdings können es auch weniger sein. Das hängt davon ab, wie viele der angetretenen Parteien an der Dreiprozenthürde scheitern, wodurch deren Stimmen nicht zählen würden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

A Greek flag flutters as tourists visit the Acropolis hill archaeological site in Athens
International

ESM-Chef: Griechenland-Rettung kostet weniger als erwartet

15 Milliarden Euro für die Bankenrettung würden "nicht gebraucht", teilte der Direktor des Euro-Rettungsfonds, Klaus Regling, mit.
Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem
International

Athen bekommt neue Hilfsgelder

Die griechische Regierung hat die ersten Meilensteine ihres Reformprogramms erreicht und bekommt dafür zwölf Milliarden Euro.
GREECE-POLITICS-ECONOMY
International

Athen: Tsipras brechen Unterstützer weg

Regierung brachte ein Sparpaket nur mit sehr knapper Mehrheit durch das Parlament. Weitere harte Maßnahmen stehen aber noch an.
International

Griechisches Parlament billigt Reformpaket

Tsipras' Regierungskoalition musste aber Verluste einstecken: Es gab zwei Abweichler in den eigenen Reihen.
Weinprobe auf Kreta
International

Griechischer Wein wird teurer

Eine Sondersteuer verteuert den Liter Wein um 40 Cent. Die griechischen Weinproduzenten protestieren gegen die Entscheidung der Regierung.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.