Atomexperte: "Nordkoreas Atomwaffen keine große Gefahr"

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Symbolbild(c) REUTERS (Jo Yong-hak)
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Der US-Atomexperte Siegfried S. Hecker sieht die Bedrohung im Interview mit der "Presse" vielmehr im Export von Nukleartechnologie. Für ihn bleibt wegen der Instabilität der Regierung Pakistan die größte Befürchtung

Die Presse: Wie lautet Ihre Rangliste der gefährlichsten Atomstaaten?

Siegfried S. Hecker: Pakistan, war, ist und bleibt meine größte Befürchtung. Die Instabilität in der Regierung macht uns besorgt auch hinsichtlich der Sicherheit ihrer Atomwaffen und -materialen. Diese Frage ist auch am schwierigsten zu lösen. US-Präsident Obama hat sich ja eben mit den Präsidenten von Pakistan und Afghanistan getroffen. Ich sehe als einzige Chance, alles Menschenmögliche daranzusetzen, der pakistanischen Regierung zu helfen und sie zu stabilisieren, damit das Militär die Kontrolle über die nuklearen Anlagen und nuklearen Waffen behält. Dann können wir die Arbeit fortsetzen und ihnen bei der Verbesserung der Sicherung dieser Waffen zu helfen. Das zweite ist, mitzuhelfen, dass die Spannungen zwischen Pakistan und Indien zurückgehen und dann die Atomwaffen nicht mehr in Alarmbereitschaft gehalten werden.


Wer ist nach Pakistan der gefährlichste?

Hecker: Nordkorea, das ich zwischendurch auf Platz vier gestuft hatte, ist wieder auf Platz zwei zurück. Drittens die Forschungsreaktoren weltweit, die hoch angereichertes Uran verwenden, das leicht zu Bombenmaterial verändert werden kann. Nummer vier ist Russland. Nummer fünf Kasachstan. Nummer sechs ist Iran.


Im April schickte Nordkorea nach eigenen Angaben einen Satelliten ins All. Der UN-Sicherheitsrat deutete das als militärischen Test und verurteilte ihn scharf. Nordkorea nimmt das zum Anlass, die Plutoniumproduktion wieder zu starten. Hat der Sicherheitsrat überreagiert?

Hecker: Er hatte keine Wahl. Schon 2006 hatte er auf den Abschuss einer Rakete mit Sanktionen reagiert. Daraufhin wurde vereinbart, dass Nordkorea nicht nur die Plutoniumproduktion stoppt, sondern die Anlage auch außerstand setzt, um eine Wiederinbetriebnahme zu erschweren. Nächster Schritt der Vereinbarung wäre gewesen, den Reaktor abzutragen, um eine Wiederinbetriebnahme zu verunmöglichen. Nun aber sieht Nordkorea diese Vereinbarungen als nichtig an, erklärt die Sechser-Gespräche für beendet, startet seine Produktion wieder und baut mehr Waffen.

Hat Nordkorea die Rakete absichtlich gezündet, weil es wusste, dass der Sicherheitsrat so reagiert?

Hecker: Ganz sicher. Damit wurde kalkuliert. Als ich Ende Februar dort war, hat man uns ja schon vorgewarnt. Als wir ihnen sagten, dass der Raketenabschuss wahrscheinlich Folgen haben werde, antworteten sie, dass die Sache eben diese Entwicklung genommen hat, weil die anderen Parteien ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Die Vereinbarung von 2007 besagte ja, dass Nordkorea seine Reaktoranlagen abbaut und die anderen Vertragsstaaten im Gegenzug eine Million Tonnen Öläquivalent liefern. Die fünf Parteien aber waren in Verzug mit der Umsetzung ihrer Arbeit, insbesondere Japan und Südkorea.

Wer ist also schuld?

Hecker: Das ist eine sehr gute Frage. Meines Erachtens beide Seiten. Die fünf Parteien hätten alles machen sollen, was in ihrer Möglichkeit stand, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Dann wäre der Ball bei Nordkorea gelegen.


Worauf zielt Nordkorea ab?

Hecker: Noch vor zweieinhalb Jahren schien es eine Bereitschaft zu geben, sich von den Atomwaffen loszusagen. Aber ich habe den Eindruck, dass Nordkorea schon nach dem Oktober 2006 (Nordkorea führte damals eigenen Angaben zufolge einen Atomtest durch, Anm.) entschied, die Nuklearwaffen so lange wie möglich zu behalten - als Trumpf für die Verhandlungen. Und daher wollen sie auch den Abbau der atomaren Anlagen hinauszögern und haben nun sogar beschlossen, die Plutoniumproduktion wieder zu starten. Die Nordkoreaner sagten mir, Amerika sollte sich daran gewöhnen, dass Nordkorea eine Atommacht ist.


Wie viele Waffen haben die Nordkoreaner?

Hecker: Soweit wir Einblick haben, besitzen sie zwischen 40 und 50 Kilogramm an waffenfähigem Plutonium. Das reicht für acht Waffen. Dennoch, seit dieser Zeit haben sie den anderen Parteien erklärt, dass sie 26 Kilogramm an waffenfähigem Plutonium hergestellt haben, was vier Waffen entspräche. Vielleicht stimmt das. Denn meine Schätzung von 40-50 Kilogramm war an der Obergrenze angesetzt, zumal wir von der früheren Arbeit der Nordkoreaner vieles nicht wissen.


Was bedeutet die Wiederinbetriebnahme des Reaktors?

Hecker: Nordkorea wird in den nächsten sechs Monaten weitere acht Kilogramm Plutonium aus den gebrauchten Brennstäben im Reaktor gewinnen. Auch brauchen sie sechs Monate, um die Anlagenteile, die deaktiviert worden sind, zu reparieren und zu ersetzen. Wenn dann der Reaktor wieder komplett ist, werden sie sechs Kilogramm Plutonium pro Jahr erzeugen können. Das ist die Gefahr.

Von der Aufbereitung der acht Kilogramm wird man sie nicht abhalten können. Was die USA und die anderen vier Parteien der Sechsergruppe tun sollten, ist, zu verhandeln, um diese acht Kilogramm Plutonium aus dem Land rauszubekommen. Das könnte möglich sein, wiewohl man bis heute auch die bestehenden mindestens 26 Kilogramm Plutonium nicht rausbekommen hat.

Man hat noch sechs Monate Zeit für Verhandlungen. Auch denke ich, dass man strikter und offensiver mit Nordkorea sein muss. Man muss darauf bestehen, das nordkoreanische Atomprogramm nicht nur zu blockieren, sondern zu ändern.


Der UN-Sicherheitsrat zieht offenbar nicht an einem Strang.

Hecker: Das ist ein Problem. Es wäre erforderlich, dass die USA und die anderen Parteien in der Tat mehr tun, um das nordkoreanische Atomprogramm zu beschränken. Das aber würde wohl weitere Sanktionen oder die Verschärfung der bisherigen Sanktionen brauchen. Seit dem Raketenstart April 2009 hat sich ja auch China gegen zusätzliche Sanktionen ausgesprochen. Es braucht also erst mal ein Abkommen unter den anderen fünf Parteien, um eine unmissverständliche Botschaft an Nordkorea zu senden. Das ist die schwierigste diplomatische Herausforderung. Nordkorea selbst weiß demgegenüber sehr genau, was es will.


Ein erster Atomwaffentest 2006 war wegen technischer Schwierigkeiten nur begrenzt erfolgreich. Welches Know-How bzw. welche Infrastruktur fehlt den Nordkoreanern?

Hecker: Nordkorea ist imstande, den Fünf-Megawatt- Komplex in Yongbyon zu starten und ihn in etwa so zu betreiben wie vorher. Aber der Mangel an industrieller Infrastruktur wird es schwer wenn nicht überhaupt unmöglich machen, einen größeren Reaktor zu bauen. Was den nur teilweise erfolgreichen Test 2006 betrifft, so bin ich sicher, dass sie an der Verbesserung inzwischen gearbeitet haben. Die größte Gefahr, der wir jetzt gegenüberstehen ist, dass sie einen weiteren Test durchführen. Durch die wieder gestartete Produktion werden sie genug Plutonium dafür haben.


Das ist wohl nicht die einzige Befürchtung.

Hecker: Die zweite ist die Interaktion mit dem Iran. Ich denke zwar, dass das Potenzial, nukleares Material in den Iran zu exportieren, ziemlich gering ist, zumal Nordkorea ja nur das Material hat und daher nicht darauf wird verzichten wollen. Sollte es dennoch passieren, wäre dies das worst-case-Szenario. Was ich aber noch mehr fürchte und nach der Reaktivierung des Atomprogramms für wahrscheinlicher halte, ist technologische Kooperation. Sie kooperierten und handelten ja schon mit Raketentechnologie. Und wir wissen, dass Nordkorea den Nuklearreaktor in Syrien gebaut hat. Es hat also in der Vergangenheit schon Nukleartechnologie exportiert. Das ist die größte Gefahr.


Kann US-Außenministerin Clinton mit dem Plan, mit ihren Verbündeten den Ring um Pjöngjang enger zu ziehen, etwas bewirken?

Hecker: Das ist sehr schwierig und hängt davon ab, welche Form von Austausch Nordkorea mit anderen Ländern pflegt. Einen Transfer von beispielsweise acht Kilogramm Plutonium zu entdecken und zu stoppen, ist nahezu unmöglich. Wenn es zwischen beiden Ländern einen großen Austausch von Apparaturen gibt, der auch über Schiffsverkehr läuft, dann gäbe es eine Möglichkeit, diesen Transfer auch sicherzustellen.


Wie gefährlich ist also Nordkorea, wenn man es mit anderen gefährlichen Staaten in dieser Hinsicht vergleicht?

Hecker: Die Nuklearwaffen selbst sind meines Erachtens für Nordkorea vor allem diplomatische Waffen zur Abschreckung gegen potentielle Aggressoren. Sie stellen keine große Gefahr für die Region dar, denn eine Anwendung ergibt für das Land selbst keinen Sinn und wäre ein Selbstmordkommando. Was die Raketen und Flugkörper betrifft, so war keiner der bisherigen Tests gänzlich erfolgreich. Außerdem hat Nordkorea meines Erachtens keine Nuklearwaffe, die sie sicher auf einem Flugkörper montieren können. Sie müssen zusätzliche Tests machen, um ausreichend kleine und leichte Waffenformen zu erzeugen, die sich für die Montage auf einem Flugkörper eignen. Zusätzlich haben sie das Problem, dass auch die Flugkörper nicht gut funktioniert haben. Die Gefahr also, dass Nordkorea eine Atomwaffe mit dem Flugkörper abfeuert, ist gering und wurde nur von den Medien hochgespielt.


Ende 2009 läuft der START-Vertrag über die Reduzierung strategischer Offensivwaffen aus. Russland und die USA arbeiten an der Verlängerung. Wo sehen Sie Stolpersteine?

Hecker: Es ist sehr wichtig, dass wir alles tun, was wir können, um einen neuen Vertrag bis 5. Dezember zu unterzeichnen. Die Russen wollen ihn. Und die gute Nachricht ist, dass ihn auch die Obama-Regierung will.

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