Analyse: Ecuador mutiert zur Protestzone

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Die Rohstoffpreise sind im Keller, unzufriedene Bürger strömen auf die Straße. Präsident Correa kommt zunehmend in Bedrängnis. Den Ausbruch eines Vulkans nützte er nun dafür, eine Nachrichtenzensur einzuführen.

Buenos Aires/Quito. Noch zum Jahreswechsel konnte sich Rafael Correa im Licht seiner Sympathiewerte sonnen. Mehr als 60 Prozent der gut 16 Millionen Ecuadorianer unterstützten damals die Amtsführung ihres Präsidenten. Doch nun muss das Staatsoberhaupt miterleben, wie der Sockel seines selbst gesetzten Denkmals bröckelt.

Das kleine, aber vielgestaltige Land am Äquator mutierte jäh zur Protestzone. Weil die Regierung Parlament und Justiz, aber auch die Medien weitgehend kontrolliert, trugen Lehrer, Ärzte, Rentner und Händler ihre Unzufriedenheit auf die Straßen. Der Mittelstand sowie die Verbände indigener Völker nahmen den Führer der „bürgerlichen Revolution“ in die Zange. Nicht einmal Papst Franziskus vermochte bei seiner Visite im Juli den Unmut zu bremsen.

Und jetzt auch noch El Niño

Und nun, als wäre nicht schon genug los, muss Correa auch noch mit Urgewalten kämpfen. Der Cotopaxi, jener fast 6000 Meter hohe Vulkankegel in Sichtweite der Hauptstadt Quito, begann vorige Woche vernehmlich zu grummeln und spuckte Asche gen Himmel. Zudem hat sich der Pazifik in diesem Jahr massiv aufgeheizt, was eine besonders verheerende Saison des Klimaphänomens El Niño befürchten lässt. Nun steht jener Infrastruktur aus neuen Straßen, Spitälern und Staudämmen, die Correas Popularität auf lange Jahre einzementieren sollte, eine gewaltige Belastungsprobe bevor – und das ausgerechnet in einem Jahr, in dem die Kasse klemmt.

Correa kann sich zugutehalten, die Armutsquote in seinem Land von 37 Prozent in 2007 auf nunmehr 22 Prozent gesenkt zu haben, während sein Land Erdöl, Mineralien und Metalle zu Rekordpreisen verkaufte. Doch nun, da Asiens Rohstoffhunger nachlässt und die Rohölpreise auf Werte unter 40 Dollar gefallen sind, geht für den in den USA ausgebildeten Ökonomen die Kalkulation nicht mehr auf. Dass nun auch noch der größte Kunde China seine Währung mehrfach gegenüber dem Dollar abwertete, war für Correa mehr als ein Detail. Denn anders als die Nachbarn Peru und Kolumbien kann Ecuador seine Währung nicht abwerten. Diese ist, seit den Turbulenzen zu Anfang des vorigen Jahrzehnts, der US-Dollar.

„Alles geht schief in Ecuador“ titelte kürzlich die US-Agentur Bloomberg. Das mag zugespitzt sein, aber gewiss nicht ganz falsch. Und der Präsident scheint eher ein Teil der Probleme zu sein als deren Lösung.

Seit seinem Amtsantritt 2007 demonstrierte Correa akute Allergie auf Dissens, vor allem aus den Medien. Doch nun geht der 52-Jährige mit voller Vehemenz selbst auf sanfte Kritiker los. Nachdem Ärzte in einer Pressekonferenz Sparmaßnahmen kritisierten, nannte Correa sie „Steinewerfer“. Als indigene Gruppen gegen Chinas Griff nach den amazonischen Bodenschätzen marschierten, beschimpfte er die Ureinwohner als „Terroristen“. Der Präsident ließ einen 17-Jährigen verhaften, weil dieser den Mittelfinger hochreckte, als der Präsidentenkonvoi vorbeifuhr.

Rafael Correa ist nervös, weil er im Dezember die Verfassung ändern lassen will: Die Beschränkung der Amtszeit auf zwei Perioden soll gestrichen werden. Correa will sich 2017, wenn sein zweites Mandat endet, zur Wiederwahl stellen. Nachdem seine Alianza Pais das Parlament dominiert, dürfte dort sein Wille geschehen. Doch wird das Volk mitspielen?

Mit den USA verscherzt

Momentan ist Ecuadors Gesellschaft gespalten zwischen jenen, die von Correas „bürgerlicher Revolution“ profitieren und denen, die diese bezahlen sollen. Dazu gehören vor allem die traditionellen Eliten. Solange das Land boomte, hatten die Superreichen eine Art Burgfrieden mit dem Präsidenten geschlossen. Doch der ist nun dahin. Seine Gegner von links versuchte Correa zu spalten, indem er einigen Führern Posten anbot. Damit hatte Argentiniens Néstor Kirchner einst reüssiert, allerdings unter wesentlich besseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Nun gibt die Weltkonjunktur keinen Anlass zu ausgeprägter Hoffnung und Ecuadors Abhängigkeit vom schwächelnden Riesen China, der Correa schon zehn Milliarden Dollar geliehen hat, macht die Sache nicht besser. Das Verhältnis zum Wachstumsmarkt USA hat Correa zerrüttet, als er dem WikiLeaks-Boss Julian Assange ein Zimmer in Ecuadors Londoner Botschaft gab. Und nun drohen auch noch Ernteausfälle durch die Starkregen von El Niño. Ecuador braucht die Erlöse aus exportierten Bananen, Kakao und Shrimps, denn diese halten das dollarisierte Währungssystem am Laufen.

Häuser von Indigenen durchsucht

Zumindest das Rumoren im Cotopaxi kam Correa nicht ganz ungelegen. Es erlaubte ihm, den Notstand zu erklären. Diese Maßnahme hebt unter anderem die Unverletzlichkeit der Wohnungen auf, was notwendig ist, um schnell evakuieren zu können. Dass nun indigene Verbände aus dem Amazonasgebiet melden, Sicherheitskräfte hätten ihre Behausungen hunderte Kilometer entfernt durchsucht, lässt jedoch auf andere Absichten schließen. Welche Spannungen im Vulkan herrschen, dürfen die Seismologen nicht mehr kundtun – der Notstand sieht eine Nachrichtenzensur vor. Außerdem sind Bewegungs- und Kommunikationsfreiheit eingeschränkt, im Sinn der öffentlichen Sicherheit. Ecuadors Regierung will auf eine Eruption vorbereitet sein, geschehe die nun im Krater oder 50 Kilometer nördlich in Quito.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2015)

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