Die Ansätze zur Reduzierung des Flüchtlingsstroms liegen auf dem Tisch. Aber es mangelt an Geld und politischem Willen. Das Problem: Es müssten all diese Vorhaben gleichzeitig umgesetzt werden.
Wien/Brüssel. 71 Tote in einem Schlepper-Lkw, hunderte Tote vor der libyschen Küste. Die Opferzahl der aktuellen Flüchtlingswelle steigt täglich. Die EU-Staaten sind zwar einzeln mit diesem Problem heillos überfordert, dennoch haben sie es bisher nicht geschafft, die notwendigen Maßnahmen gemeinsam zu ergreifen. Die Lösungsansätze liegen auf dem Tisch. Sie müssten alle gleichzeitig realisiert werden, da sie in starkem Maß voneinander abhängen. Eine scheinbar unmögliche Aufgabe für die immer stärker auf nationale Interessen ausgerichteten EU-Regierungen.
Die Vorbereitungen für gemeinsame europäische Asyl-Hotspots in Griechenland und Italien sind im Gang. Diese Woche wurde bereits über die Umsetzung mit Griechenland verhandelt. In den Zentren sollen lokale Behörden gemeinsam mit Beamten aus anderen EU-Staaten alle Asylwerber registrieren und eine Vorauswahl zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und Asylberechtigten treffen. Personen ohne Chance auf legalen Aufenthalt sollen von hier aus konsequent in ihre Heimatländer zurückgeschoben werden. Die Hotspots sollen verhindern, dass Flüchtlinge ohne Registrierung in den Norden weitergeschickt werden. Außerdem sollen die Behörden beider Länder entlastet werden. Aber Athen und Rom haben Vorbehalte, da es noch keine Aufteilungsquote in der EU gibt.
Die EU hat bereits den gemeinsamen Grenzschutz verstärkt. Die Budgetmittel für die Frontex-Einsätze im Mittelmeer wurdenverdreifacht. Etwa neun Millionen Euro pro Monat stehen zur Verfügung. Der ebenfalls beschlossene Militäreinsatz gegen Schlepperboote wird durch Widerstand im UN-Sicherheitsrat gebremst. Vorerst soll er in internationalen Gewässern ausgeweitet werden. Frontex-Chef Fabrice Leggeri warntdavor, in blockierten Grenzen allein die Lösung des Problems zu sehen. „Die Ursache der Flüchtlingskrise bleibt erhalten.“ Außerdem würden Flüchtlinge immer neue Wege finden, in die EU zu gelangen.
Da es keine legalen Einreisemöglichkeiten nach Europa gibt, begeben sich täglich tausende Menschen in die Hände von Schlepperbanden. Die EU-Kommission ventilierte deshalb ein Modell für die permanente Umsiedlung bereits von der UNO anerkannter Flüchtlinge. Erst kürzlich einigten sich die EU-Regierungen auf freiwilliger Basis, 20.000vorwiegend aus Syrien stammende Menschen aufzunehmen. Zum Vorschlag, UNHCR-Anlaufstellen in den Herkunftsländern zu installieren und dort Schutzbedürftige zur verbindlichen Verteilung auf die EU-Staaten auszuwählen, gibt es bisher keinen Konsens. Auch die Idee, Flüchtlingen bereits in Botschaften oder EU-Büros nahe ihren Heimatländern die Möglichkeit zu geben, um Asyl anzusuchen, stößt bei den Regierungen auf wenig Zustimmung.
Die gerechte Aufteilung von hunderttausenden, an Europas Grenzen gestrandeten Flüchtlingen ist der größte Streitpunkt zwischen den EU-Regierungen. Die Mittelmeerländer kritisieren schon lang, dass das Dublin-III-System nicht funktioniert: Demnach muss ein Migrant in jenem Mitgliedstaat, in dem er erstmals EU-Boden betritt, um Asyl ansuchen. Besonders Rom setzt sich vehement für ein EU-weites Quotensystem ein. Das wollen auch Österreich, Deutschland oder Schweden – über die Berechnungsmethode besteht aber Uneinigkeit. Die Osteuropäer sind ohnehin gegen einen fixen Verteilungsschlüssel, weshalb eine baldige Einigung auf EU-Ebene unwahrscheinlich ist.
Unbemerkt von der Öffentlichkeit unterstützt die EU bereits die Nachbarländer Syriens bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Erst kurz vor dem Sommer wurden 40 Millionen Euro bereitgestellt, um 400.000 syrische Flüchtlinge und Aufnahmegemeinden in der Region zu unterstützen. Gemeinsam mit den Mitgliedstaaten hat Brüssel auch 1,1 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe und Wiederaufbau in Syrien bereitgestellt. Das ist freilich nur eine Seite der Medaille. Die andere wirkt nicht so positiv. Das Geld reicht nicht, und die Nachhaltigkeit ist nicht gegeben. Das diplomatische und militärische Engagement der EU für eine Lösung der Konflikte in den Krisengebieten im Nahen Osten und Nordafrika ist gering. Die Entwicklungshilfe wurde von vielen Ländern, aber auch aus dem EU-Budget mit Hinweis auf budgetäre Probleme gekürzt. Österreich ist hierbei keine Ausnahme. Eigentlich haben sich die EU-Staaten darauf festgelegt, die Entwicklungszusammenarbeit schrittweise auf 0,7 Prozent des BIPs zu erhöhen. Österreich kommt derzeit auf 0,26 Prozent.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2015)