„Die EU könnte militärische Kräfte zur Verfügung stellen“

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Der Chef des EU-Militärstabs, Wolfgang Wosolsobe, über sicherheitspolitische Optionen in der Flüchtlingskrise.

Die Presse: Ein Grund für die aktuelle Flüchtlingswelle ist die unsichere Lage in den Herkunftsländern Syrien, Irak, Afghanistan. Sie leiten den Militärstab der EU. Gibt es für die Union militärische Optionen, um eine weitere Eskalation in diesen Regionen zu verhindern?

Wolfgang Wosolsobe: Das hängt von der Bereitschaft der Mitgliedstaaten ab, so eine Eskalation auch militärisch zu beantworten. Derzeit sehe ich diese Bereitschaft nicht. Ich sehe nur die Bereitschaft, alle internationalen Anstrengungen, die unternommen werden, aktiv zu unterstützen. Das gilt sowohl für Syrien als auch für Libyen. Das sind vor allem Anstrengungen der Vereinten Nationen. Sobald diese Lösungsansätze einen Reifegrad erreicht haben, halte ich es für möglich, dass die EU auch militärische Kräfte zur Verfügung stellt. Die Europäische Union würde in einer koordinierenden Rolle für die UN agieren, sie unterstützen, aber immer eingebettet in die Aktion der UN. Das schiene mir möglich.

Eine der Optionen, die konkret angesprochen wurden, sind Sicherheitszonen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge.

Aktuell wird nur von einer Sicherheitszone gesprochen: in Syrien, westlich von Kobane. Diese kann dazu dienen, dass die Bevölkerung dort geschützt wird. Derzeit gibt es aber keinen Konsens über die Einrichtung dieser Zone. Das ist auch keine europäische Diskussion.

Welche anderen Möglichkeiten gebe es, die Bevölkerung in den Krisenregionen zu schützen?

Es gibt die Möglichkeit, die Länder zu unterstützen, die sich schon jetzt der Flüchtlinge annehmen – etwa Jordanien, den Libanon oder die Türkei. Wenn diese Länder nämlich Schwierigkeiten haben, das weiterhin zu tun, dann haben wir eine Vervielfachung des Problems. Wir könnten etwa die Einrichtung zusätzlicher Flüchtlingslager in Absprache mit diesen Staaten andenken.

Ein EU-Sondergipfel hat vor dem Sommer militärische Maßnahmen gegen Schlepper beschlossen. Wie weit sind die Vorbereitungen abgeschlossen?

Das ist die Operation im Mittelmeer – im Norden Libyens. Wir sind hier nach wie vor in der Startphase. Wir erfassen gerade das Schlepperwesen in der Region, mit aufklärerischen Maßnahmen. Wir haben bereits Schiffe, wir haben auch schon erste Rettungsmaßnahmen durchgeführt. Es ist jetzt aus militärischer Sicht zweckmäßig, in die nächste Phase überzugehen. Solange wir kein UN-Mandat haben, würde uns das trotzdem erlauben, auf hoher See Schiffe aufzubringen, sie zu beschlagnahmen. Damit würde der Handlungsspielraum der Schlepper deutlich eingeschränkt.

Aber das geht einstweilen nur in internationalen Gewässern?

Ja. Bis zwölf nautische Meilen vor der libyschen Küste können wir operieren.

Wäre es sinnvoll, in Zusammenarbeit mit den Transitländern Nordafrikas auch in den küstennahen Gebieten Einsätze durchzuführen?

Mit den Transitländern arbeiten wir zunehmend zusammen. Im Küstenbereich – aus militärischer Hinsicht – ergibt sich das mit Ausnahme Libyens nicht.

Ein anderer Konfliktherd ist die Ukraine. Gibt es da Vorbereitungen, sollte sich dieser Konflikt mit Russland ausweiten?

Europa bereitet sich intensiviert gegen eine sogenannte hybride Bedrohung vor. Das ist durch diesen Konflikt ausgelöst worden. Sollte es zu einer Eskalation kommen, stehen der EU im Falle der Ukraine vor allem politische Mittel zur Verfügung. Es gibt für die EU keine aktive militärische Dimension, keine aktive militärische Rolle in diesem Konflikt. Wir haben eine zivile Beratungsmission eingerichtet.

Wo liegen heute die Hauptdefizite in der Sicherheitspolitik der EU?

Wenn wir das weiterhin tun wollen, was wir derzeit tun, kommen wir bereits an unsere Grenzen. Wenn wir mehr Operationen oder solche mit höherem Schwierigkeitsgrad durchführen wollen, kommen wir mit den derzeitigen Strukturen und Mitteln nicht mehr aus. Dann brauchen wir einen höheren Integrationsgrad in der militärischen Führung, dann brauchen wir eine stärkere Integration im Nachrichtenwesen. Dazu kommen notwendige technische Strukturen. Für eine engagierte Sicherheits- und Verteidigungspolitik gibt es hier noch großen Handlungsbedarf.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich für den Aufbau einer EU-Armee ausgesprochen. Ist das ein Plan, der Realisierungschancen hat?

Ich glaube nicht, dass das schon ein Plan ist. Das ist viel eher ein Prozess. Alle Schritte zu mehr Integration im militärischen Bereich gehen natürlich in diese Richtung. Am Ende kann eines Tages etwas stehen, was man „Europäische Armee“ nennen kann. Das ist aber einstweilen nur eine Vision.

ZUR PERSON

Wolfgang Wosolsobe. Der österreichische Generalleutnant leitet den Militärstab der Europäischen Union. Er koordiniert und plant mit seinen Mitarbeitern die Operationen der EU in allen militärischen Bereichen. Wosolsobe verfügt über internationale Erfahrung. Vor seinem Karrieresprung in den Militärstab war er bereits als Leiter der militärischen Vertretung Österreichs in Brüssel tätig. Zuvor leitete er die Direktion für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium in Wien.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2015)

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