Türkei: Erdoğans mediale Hexenjagd

Turkey´s President Tayyip Erdogan heads the National Security Council meeting in Ankara
Turkey´s President Tayyip Erdogan heads the National Security Council meeting in Ankara(c) REUTERS (HANDOUT)
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Vor der Neuwahl erhöht die Regierung in Ankara den Druck auf regierungskritische Medien. Bei einem Blatt des Intimfeinds des Präsidenten führte die Polizei eine Razzia durch.

Istanbul. Wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan morgens die Zeitungen seines Landes aufschlägt, sieht er hie und da Dinge, die ihm nicht gefallen. In einigen Blättern machen Angehörige von Soldaten, die in Kämpfen gegen die PKK-Rebellen getötet wurden, der Regierung schwere Vorwürfe. Andere Zeitungen berichten über geheime Waffenlieferungen an den Islamischen Staat (IS).

Der Präsident will deshalb vor der Neuwahl im November gegen unliebsame Medien vorgehen. Die Polizei durchsuchte am Dienstag die Zentrale einer Unternehmensgruppe, die regierungskritische Medien herausgibt.

Kurz bevor die Beamten im Hauptquartier der Koza Ipek Holding in Ankara auftauchten und Computer beschlagnahmten, hatte die zum Konzern gehörende Zeitung „Bugün“ berichtet, über den türkischen Grenzübergang Akcakale werde der IS in Syrien lastwagenweise mit Waffen versorgt, während die türkischen Grenzbeamten beide Augen zudrückten. Regierungsanhänger äußerten sofort Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte; die Regierung in Ankara weist solche Vorwürfe ohnehin strikt zurück.

Zur Begründung der Razzia bei Koza Ipek verwies die Justiz auf den Verdacht der finanziellen Unterstützung einer Terrororganisation. Die Holding gehört zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, eines ehemaligen Erdoğan-Unterstützers, der zum Hauptfeind des Präsidenten mutiert ist. Erdoğan und regierungstreue Staatsanwälte nennen die Gülen-Bewegung eine Terrorgruppe.

Anzeige gegen Chefredakteur

Der Streit zwischen der Regierung und einem Teil der Medien trägt längst Züge einer Hexenjagd. Erdoğan persönlich hatte vor Kurzem Strafanzeige gegen Can Dündar erstattet, den Chefredakteur des Oppositionsblattes „Cumhuriyet“, das ebenfalls über angebliche Waffensendungen an den IS berichtet hatte. Dündar soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft lebenslang hinter Gitter. Die Journalistin Nazli Ilicak kommentierte, die Regierung und Erdoğan selbst sähen sich „in die Ecke gedrängt“. Erdoğan verklagte auch Oppositionspolitiker.

Kritiker werfen dem Präsidenten vor, er wolle alle Medien gefügig machen. Ein großer Teil der Presse steht bereits auf der Seite der Regierung, doch dem Präsidenten reicht das nicht: Er sieht sich als Opfer unfairer Angriffe seiner Gegner. Kürzlich sicherte sich die Regierung mehr Einfluss auf die Vergabe von Presseausweisen. Bei Pressekonferenzen der Regierung sind kritische Medien schon lange nicht mehr zugelassen.

Bisher lassen sich die Angegriffenen nicht einschüchtern. Oppositionspolitiker und Presseverbände in der Türkei verurteilten das Vorgehen gegen Koza Ipek. Auch der Kurdenpolitiker Ali Haydar Konca, der in der Übergangsregierung bis zur Novemberwahl als EU-Minister fungiert, kritisierte das Vorgehen der Behörden. Gebraucht werde ein Ausbau demokratischer Rechte, sagte er. Der Umgang der Regierung mit der Presse wird inner- und außerhalb der Türkei schon lange kritisiert. Im kurdischen Südosten wurden jetzt auch zwei britische Journalisten in Haft genommen.

Doch die Razzia bei Koza Ipek könnte erst der Anfang einer neuen Welle gewesen sein. Ein anonymes Mitglied der Staatsführung, das sich Fuat Avni nennt und auf Twitter regelmäßig Interna ausplaudert, hatte kürzlich Pläne für eine Aktion gegen kritische Medien enthüllt. Auch Koza Ipek wurde dabei genannt. Laut Fuat Avni ärgert sich Erdoğan besonders wegen der vielen Berichte über Kritik an der Regierung bei den Beisetzungsfeiern für gefallene Soldaten – das könnte der Erdoğan-Partei AKP bei der Wahl am 1.November schaden.

Demnach planen die Behörden vor der Wahl noch Aktionen gegen das Enthüllungsblatt „Taraf“, gegen Dündars „Cumhuriyet“ sowie gegen den Medienkonzern Dogan, dessen Flaggschiff „Hürriyet“ ebenfalls ein Dorn im Auge Erdoğans ist.

AUF EINEN BLICK

Die Razzia bei der Zeitung „Bugün“, die von Waffenlieferungen der Türkei an den IS in Syrien berichtete, ist nach Ansicht eines Insiders mit dem Pseudonym Fuat Avni womöglich nur der Anfang einer groß angelegten Aktion Ankaras gegen regierungskritische Medien vor der Neuwahl im November. Im Visier sind die Zeitungen „Taraf“, „Cumhuriyet“ und „Hürriyet“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2015)

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