Ungarn sieht sich zu Unrecht am Pranger

refugees and migrants trapped at station Budapest Hungary UNGARN 01 09 2015 Budapest VIII Bez
refugees and migrants trapped at station Budapest Hungary UNGARN 01 09 2015 Budapest VIII Bez(c) imago/EST&OST (imago stock&people)
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Budapest hat die Weiterreise von Flüchtlingen vorerst gestoppt und macht Berlin für das Chaos verantwortlich.

Die Stimmung unter den Flüchtlingen auf dem Budapester Ostbahnhof (Keleti) ist angespannt. Sie verstehen nicht, warum sie trotz gültiger Fahrkarten von der ungarischen Polizei seit mittlerweile zwei Tagen daran gehindert werden, die internationalen Züge in Richtung Westen zu besteigen. Die ungarische Regierung hielt sich bisher mit einer Begründung zurück. Am Mittwoch machten rund zweihundert Flüchtlinge ihrem Unmut Luft. Inmitten eines ohrenbetäubenden Pfeifkonzertes hielten sie Transparente aus Karton in die Höhe, auf denen „We want to go!“ und „Germany, Germany!“ zu lesen waren. Zunächst schritt die Polizei, die mit einem Großaufgebot im Bahnhof für Ordnung sorgt, aber nicht ein.

Nachdem die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, kürzlich angekündigt hatte, allen syrischen Schutzsuchenden den Flüchtlingsstatus zu gewähren, strömten in den vergangenen Tagen tausende Flüchtlinge zum Keleti, um mit den internationalen Zügen über Wien nach München zu reisen. Auf dem Gelände des Bahnhofs gibt es derzeit praktisch keinen freien Zentimeter mehr. Zur Verschärfung der Lage hat beigetragen, dass es für die von den Strapazen geschwächten Flüchtlinge zu wenig zu essen und zu trinken gibt.

Missverständnis

Dass zu Beginn der Woche tausende syrische Flüchtlinge anstandslos von Budapest über Wien nach München reisen durften, ist dem Vernehmen nach auf ein Missverständnis zurückzuführen. Offenbar deuteten die ungarischen Behörden die Worte Merkels kurzzeitig so, dass das sogenannte Dublin-Abkommen von Deutschland außer Kraft gesetzt worden sei und die deutsche Seite die Registrierung der syrischen Flüchtlinge, sprich die Bearbeitung ihrer Asylanträge, übernehmen werde.

Nachdem dies von Deutschland jedoch dementiert worden war, sah sich Ungarn gezwungen, die Flüchtlinge wieder von den Zügen nach Wien fernzuhalten. Ungarns Regierung rief Deutschland diesbezüglich auf, die rechtliche Lage im Zusammenhang mit der Beförderung von Flüchtlingen innerhalb der EU zu klären. Regierungssprecher András Giró-Szász versicherte, Ungarn halte sich an das EU-Recht, das eindeutig den Schutz der Schengen-Außengrenzen vorschreibe. Demnach dürften Personen aus Drittstaaten nur im Besitz gültiger Reisedokumente, versehen mit einem Visum des Ziellandes, aus Ungarn weiterreisen. Er kritisierte aber auch die Regierung in Berlin: Sie provoziere mit ihrer einladenden Haltung gegenüber Flüchtlingen aus Syrien eine unberechtigte Hoffnung unter den illegalen Einwanderern.

Budapest klagt über „Verleumdung“

Außenminister Péter Szijjártó wiederum echauffierte sich darüber, dass gegen Ungarn in Sachen Flüchtlingspolitik international eine „Verleumdungskampagne“ betrieben und sein Land als „Sündenbock“ dargestellt werde. Sowohl die französische als auch die österreichische Regierung hatten Ungarn für seine Flüchtlingspolitik dieser Tage scharf kritisiert. Regierungschef Viktor Orbán will am Donnerstag in Brüssel bei EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker um Hilfe bitten. Ungarn möchte laut Kommission eine Nothilfe von acht Millionen Euro erhalten, um ankommende Flüchtlinge zu versorgen.

Was die Registrierung der syrischen Flüchtlinge durch Ungarns Behörden erschwert, ist der Umstand, dass sich auch andere Flüchtlinge als Syrer ausgeben, um nach Deutschland zu gelangen. Auf dem Bahnhof Keleti sitzen derzeit auch Menschen aus Afghanistan und Pakistan fest.

Deutschlands Innenminister Thomas de Maiziere hat vorgeschlagen, Flüchtlings-Registrierungszentren nicht nur in Italien und Griechenland sondern auch in Ungarn aufzubauen. Dies könne mit Beteiligung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR geschehen, das dazu auch bereit sei, sagte der CDU-Politiker am Mittwochabend in der ZDF-Sendung "Was nun, Herr de Maiziere?".

Soll Österreich die Flüchtlinge aus Ungarn unkontrolliert nach Deutschland durchreisen lassen?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2015)

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