CDU-Politiker: Eklatante Verletzung europäischen Rechts

Seit Montag sind alleine in Muenchen fast 3000 Fluechtlinge mit Zuegen aus Ungarn ueber Oesterreich
Seit Montag sind alleine in Muenchen fast 3000 Fluechtlinge mit Zuegen aus Ungarn ueber Oesterreich(c) imago/Manfred Segerer (imago stock&people)
  • Drucken

CDU-Politiker Krichbaum kritisiert, dass Österreich die Augen vor dem Bruch der Dublin-Regel durch Ungarn verschlossen habe. Eine Registrierungspflicht laut Unionsrecht hatten die Behörden nicht.

Wien/Berlin. Berlin ist irritiert – und das aus bekanntem Grund: Die heimischen Behörden haben ja Anfang der Woche Flüchtlinge in Zügen aus Budapest kommend unkontrolliert Richtung Deutschland weiterreisen lassen. Der Vorsitzende des Europaausschusses im deutschen Bundestag, Gunther Krichbaum, regte bei der EU-Kommission in Brüssel deshalb an, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich prüfen zu lassen – wegen „Bruchs der Dublin-Vereinbarung“.

Doch die EU-Regelung, nach der ein Flüchtling in jenem Mitgliedstaat um Asyl ansuchen muss, in dem er zuerst den Boden der Union betreten hat, sieht die Registrierungspflicht für Durchzugsstaaten gar nicht vor, wie Europarechtler Walter Obwexer im Gespräch mit der „Presse“ erläutert. „Österreich muss nur jene Menschen betreuen, die im Land um Asyl ansuchen“, so Obwexer – und diese dann mittels Antrags auf Dublin-Übernahme gegebenenfalls in das Ersteinreiseland zurückführen. Wenn jemand aber weiterreisen wolle, seien die Behörden laut Unionsrecht nicht dazu angehalten, Schritte gegen diese Entscheidung zu setzen. „Österreich hat also keine Verpflichtung verletzt, die die Dublin-Regel bricht“, erläutert der Innsbrucker Europarechtler.

Auch aus dem Schengener Grenzkodex gehe nicht eindeutig hervor, dass Österreich zur Registrierung der Flüchtlinge verpflichtet gewesen wäre. Allerdings, schränkt Obwexer ein, könne man das aus den Regeln „implizit ableiten“ – insbesondere für den Fall, dass jemand augenscheinlich illegal im Land ist.

Scharfe Kritik an der EU-Kommission

So argumentiert auch Krichbaum. „Österreich hat die Augen vor einem erkannten Rechtsbruch durch Ungarn verschlossen. Das macht keinen schlanken Fuß“, meint er im Gespräch mit der „Presse“: Die Regierung in Budapest hätte die Flüchtlinge registrieren müssen, statt sie ohne gültige Papiere in das nächste EU-Land weiterreisen zu lassen – und damit „Dublin in Rechtswirklichkeit ausgehebelt“. Die österreichische Exekutive hätte deshalb Personenkontrollen in den Zügen und die anschließende Rücksendung nach Ungarn veranlassen sollen, meint Krichbaum. „Wenn ein Straftäter von Spanien über Frankreich nach Deutschland reist, erwarte ich doch auch von den französischen Behörden, dass sie ihn bei einer Kontrolle aus dem Verkehr ziehen.“ Es könne nicht sein, so der CDU-Politiker, dass Deutschland und Schweden die Hauptlast der Flüchtlingsströme trügen. Doch auch mit Kritik an der EU-Kommission spart der Europapolitiker nicht: Die Behörde habe schon in der Vergangenheit einfach weggeschaut, wenn Griechenland und Italien – die beiden Mittelmeerländer lassen gestrandete Menschen seit Monaten unregistriert in andere EU-Länder weiterziehen – die Dublin-Verordnung gebrochen hätten: „Dies ist eine eklatante Verletzung europäischen Rechts – und wir machen uns lächerlich, wenn wir die eigenen Prinzipien nicht mehr beachten. Dann können wir einpacken.“

EU-weite Quoten und Registrierungszentren an den Außengrenzen sind laut Krichbaum das Gebot der Stunde. Das fordert auch die Regierung in Wien seit Langem – doch scheitern derartige Initiativen bekanntermaßen am Widerstand mehrerer osteuropäischer Länder. Bundeskanzler Werner Faymann will deshalb kommenden Montag seine tschechischen und slowakischen Amtskollegen, Bohuslav Sobotka und Robert Fico, in Bratislava zu einem klärenden Gespräch über die Flüchtlingskrise treffen. Alle EU-Länder müssten Verantwortung übernehmen, so Faymann.

Soll Österreich die Flüchtlinge aus Ungarn unkontrolliert nach Deutschland durchreisen lassen?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.