Deutschland: "Können 500.000 Flüchtlinge im Jahr aufnehmen"

Refugees and migrants push each other as they try to board a bus following their arrival onboard the Eleftherios Venizelos passenger ship at the port of Piraeus
Refugees and migrants push each other as they try to board a bus following their arrival onboard the Eleftherios Venizelos passenger ship at the port of Piraeus(c) REUTERS (ALKIS KONSTANTINIDIS)
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Die Flüchtlingswelle ist ungebremst. Die Drähte zwischen Wien, Berlin und Budapest laufen heiß. Züge zwischen Ungarn und Österreich werden weiterhin nicht kontrolliert.

Während in Griechenland und Mazedonien wieder vermehrt Flüchtlinge ankommen, ist im Burgenland seit Montagnachmittag die Schwerpunktaktion zur Schlepperbekämpfung auf den Straßen wieder angelaufen. Züge aus Ungarn werden aber vorerst nicht kontrolliert. Dieses Vorgehen sei mit dem Innenministerium akkordiert, sagte Gerald Pangl von der Landespolizeidirektion Burgenland am Dienstag. 

Vorerst können Flüchtlinge aus Ungarn in Zügen also weiterhin ungehindert die österreichische Grenze überqueren und in Richtung Deutschland weiterreisen. Dienstagfrüh hat ein von den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) kurzfristig eingerichteter Sonderzug mehreren 100 Flüchtlingen die Reise vom Wiener Westbahnhof über Salzburg nach Deutschland ermöglicht. Die Garnitur hat Wien kurz nach 8 Uhr verlassen, gab ÖBB-Sprecher Michael Braun bekannt. Am Dienstag warteten am Budapester Ostbahnhof erneut Tausende auf Verbindungen nach Österreich und Deutschland.

Strom reißt nicht ab

Im Schatten der Krisendiplomatie baut sich die nächste Flüchtlingswelle auf. 20.000 Menschen sind auf Lesbos gestrandet, 10.000 auf weiteren griechischen Inseln. An der Grenze zu und in Mazedonien sitzen 14.000 fest, in Serbien, dem letzten Land vor der eingezäunten ungarischen EU-Außengrenze, sind es noch einmal 4000. Und weitere 4000 kommen derzeit in Griechenland an. Pro Tag.

Die aktuellen Zahlen des Flüchtlingshochkommissariats UNHCR liegen der „Presse“ vor, und sie deuten an, dass nach dem Öffnen der deutschen und österreichischen Grenze für Flüchtlinge am Wochenende eine Sogwirkung entstanden sein könnte. Kanzler Werner Faymann beeilt sich nun, sein Vorgehen als Ausnahme angesichts eines humanitären Notfalls darzustellen. Genau wie Berlin. Jeden Schritt stimmt Faymann mit Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, ab.

Deutschland will "überproportional" helfen

Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel geht davon aus, dass Deutschland auch in den kommenden Jahren die Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge bewältigen kann. In einem ZDF-Interview nannte der SPD-Chef am Montagabend die Zahl von 500.000 Menschen."Ich glaube, dass wir mit einer Größenordnung von einer halben Million für einige Jahre sicherlich klarkämen", sagte Gabriel. "Ich habe da keine Zweifel, vielleicht auch mehr." Er pocht aber auch auf eine europäische Lösung. Deutschland werde aber auch in Zukunft einen "weit überproportionalen Teil" der nach Europa kommenden Menschen aufnehmen.

Für Österreichs „menschliches Verhalten in der Flüchtlingskrise“ hat sich inzwischen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon telefonisch bei Faymann bedankt. Viktor Orbán ist weniger erbaut. Zwei Telefonate führte er mit Österreichs Regierungschef seit Sonntag. Wie „Die Presse“ erfuhr, soll es spätestens Ende dieser Woche ein Treffen der beiden geben. Auch Faymanns Arbeitsbesuch bei Schwedens Premier, Stefan Löfven, am Dienstag wird zum Krisengipfel. Schon gestern kam der Kanzler in Bratislava mit zwei weiteren sozialdemokratischen Parteifreunden in der Riege der EU-Regierungschefs zusammen und war doch isoliert: Bohuslav Sobotka (Tschechien) und Robert Fico (Slowakei) lehnen einen Schlüssel zur Aufteilung der Flüchtlinge ab.

„Wir bevorzugen Christen“

„Verpflichtende Quoten sind keine Lösung“, sagte gestern auch der Sprecher des slowakischen Innenministeriums, Ivan Netík, zur „Presse“. Die Slowakei sei aber weiter bereit, 200 Flüchtlinge (100 in der Türkei, 100 in Italien/Griechenland) aufzunehmen. Die Zahl könnte dem Vernehmen nach nächste Woche nach oben korrigiert werden. Netík hatte zuletzt weltweit für Aufsehen gesorgt, als er erklärte, sein Land akzeptiere nur christliche Flüchtlinge. Nun sagt er: „Wir bevorzugen Christen, wenn aber auch Muslime unter den Asylwerbern sind, machen wir deshalb keine Probleme.“ Zugleich verstärke die Slowakei für „einige Tage“ Kontrollen im Grenzraum zu Österreich und zu Ungarn, so Netík. Aufgegriffene würden umgehend zurückgeschickt. Und Tschechien kündigte gestern an, Dutzende Syrer an Österreich und die Slowakei übergeben zu wollen.

Die Slowakei wird Österreich durch die Unterbringung von 500 Flüchtlingen aus Traiskirchen in Gabcikovo ein wenig entlasten. „Wir sind bereit und haben die Flüchtlinge schon am Samstag erwartet“, sagt Netík. Der Transport habe sich von „österreichischer Seite“ verzögert. Die Flüchtlinge sollten morgen oder übermorgen kommen. Österreichs Innenministerium dementiert das. Es gebe keinen Termin, da zuvor für die Betreuungsorganisation ORS eine eigene Firma in der Slowakei gegründet werden müsse. Man warte auf grünes Licht der Behörden.

(Ag./strei/cu/klepa)

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