Junckers Plan: So will Brüssel die Flüchtlingskrise bewältigen

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Der EU-Kommissionspräsident legt ein Sieben-Punkte-Papier vor. Neben den umstrittenen Quoten zur Verteilung der Flüchtlinge soll es auch mehr Geld für die Herkunftsländer geben. Ein Überblick.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat am Mittwoch nicht nur den Zustand der EU massiv kritisiert. Er legte im Europaparlament einen Plan zur Verteilung von weiteren 120.000 Flüchtlingen aus Italien, Griechenland und Ungarn vor. Dieser folgt dem bereits vor dem Sommer gemachten Vorschlag der Verteilung von 40.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien. Der Aufteilungsschlüssel ist Teil eines Sieben-Punkte-Papiers, das Juncker vorgestellt hat.

In Mittelosteuropa formiert sich bereits Widerstand gegen den Quotenzwang. Tschechiens Präsident Milos Zeman nennt den Vorstoß "unsinnig". Schon bei der 40.000er Quote gab es keine Verbindlichkeit und lediglich eine freiwillige Einigung auf die Aufteilung von 32.000 Flüchtlingen. Und mittelosteuropäische Länder wie die  Polen, Slowakei, Tschechien kündigten auch nun Widerstand gegen jede Form des Quotenzwangs an.

Die Kommission hat angesichts der Probleme in Herkunftsländern nun auch einen Not-Treuhandfonds mit 1,8 Mrd. Euro vorgestellt, der zur Bekämpfung der Ursachen der Flüchtlingskrise in Afrika beitragen soll. Über die Vorschläge der EU-Kommission beraten die Innenminister kommenden Montag in Brüssel. Ein Überblick.

  • 1. Vorschlag zur Notumsiedlung von 120.000 Flüchtlingen aus Griechenland, Ungarn und Italien. Die Verteilung der 15.600 Flüchtlinge aus Italien, 50.400 aus Griechenland und 54.000 aus Ungarn soll nach einem verbindlichen Schlüssel auf Grundlage von quantifizierbaren Kriterien (Bevölkerungszahl: 40 Prozent, BIP: 40 Prozent, durchschnittliche Zahl der bisherigen Asylanträge: zehn Prozent, Arbeitslosenquote: zehn Prozent) erfolgen. Betroffen von der Aufteilung sind nur 22 EU-Länder, unter ihnen Österreich. Griechenland, Ungarn und Italien sind ausgenommen und Großbritannien, Irland und Dänemark haben eine Ausnahmeregelung. Infrage kommen Flüchtlinge aus Ländern, bei denen die durchschnittliche Anerkennungsquote in der EU mindestens 75 Prozent beträgt, derzeit sind dies Syrien, Eritrea und Afghanistan. Für die Umsiedlungsmaßnahmen werden aus dem EU-Haushalt Gelder in Höhe von 780 Mio. Euro zur Verfügung gestellt.
  • 2. Ein auf Dauer angelegter Umsiedlungsmechanismus für alle Mitgliedstaaten: Wie in der Europäischen Migrationsagenda angekündigt, schlägt die Kommission einen strukturierten Solidaritätsmechanismus vor. Er kann jederzeit von der Kommission aktiviert werden, um einem EU-Mitgliedstaat zu helfen, der sich in einer Notlage befindet und dessen Asylsystem aufgrund eines unverhältnismäßig großen Zustroms von Drittstaatsangehörigen extremem Druck ausgesetzt ist. Ob eine solche Notlage vorliegt, entscheidet die Kommission anhand der Zahl der in den letzten sechs Monaten gestellten Asylanträge, dem BIP pro Kopf sowie der Zahl der irregulären Grenzübertritte der letzten sechs Monate.
  • 3. Eine gemeinsame europäische Liste sicherer Herkunftsstaaten: Damit könnten Asylanträge von Staatsangehörigen aus EU-weit als sicher geltenden Staaten schneller bearbeitet und Rückführungen schneller durchgeführt werden, wenn die individuelle Prüfung des Antrags keinen Anspruch auf Asyl ergibt. Die bisherige EU-Liste sicherer Herkunftsländer wird um Albanien, Bosnien und Herzegowina, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Kosovo, Montenegro, Serbien und die Türkei erweitert. Juncker kündigte aber gleichzeitig an, dies bedeute nicht, dass das Asylrecht für Menschen aus diesen Staaten nicht mehr gelte.
  • 4. Effektivere Organisation der Rückkehr/Rückführung: Ziele sind die Förderung der freiwilligen Rückkehr und die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie, Verbesserung des Informationsaustauschs, Stärkung der Rolle und des Mandats der EU-Grenzschutzagentur Frontex bei Rückführungseinsätzen und Einführung eines integrierten Rückkehrmanagements.
  • 5. Rasche Hilfe der EU-Staaten für Flüchtlinge: Die Mitgliedstaaten müssen die dringendsten Bedürfnisse der Asylsuchenden, was Unterbringung und Versorgung mit Waren und Dienstleistungen angeht, rasch und angemessen erfüllen.
  • 6. Externe Dimension der Flüchtlingskrise: Die EU leistet in Syrien Hilfe an Ort und Stelle insbesondere für Binnenflüchtlinge und unterstützt Nachbarländer wie Jordanien, Libanon oder Türkei, die den Großteil der Flüchtlinge aus Syrien beherbergen. Bisher wurden dafür 3,9 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt. Die Bekämpfung von Menschenschmugglern stellt eine weitere Priorität dar, dafür wurde die umstrittene Anti-Schleppermission Euvavfor Med gegründet. Mit den Herkunfts- und Transitländern wurden zudem rund 17 Rückübernahmeabkommen und sieben Mobilitätspartnerschaften unterzeichnet. Für Anfang Oktober ist eine Flüchtlingskonferenz mit den Westbalkanländern in Ungarn geplant, eine weitere mit afrikanischen Staaten am 11. und 12. November auf Malta.
  • 7. Treuhandfonds für Afrika: Die Europäische Kommission hat 1,8 Mrd. Euro für einen Nothilfe-Treuhandfonds bereitgestellt, der helfen soll, afrikanische Staaten zu stabilisieren und die Migrationsursachen zu bekämpfen. Profitieren sollen die Länder der Sahelzone, in der Tschadsee-Region, am Horn von Afrika und in Nordafrika.

(APA)

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