Schlepper: Mit Geisterpässen nach Europa

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Es ist das sicherste und teuerste Ticket in die EU: Immer mehr Flüchtlinge reisen mit Ausweisen anderer Bürger − syrische Pässe bieten die höchsten Chancen auf Asyl.

Istanbul/Wien. Aksaray mit seinem Durcheinander an Bussen, Straßenbahnen und Passanten, seinen Hintergassen, in denen Cafés und Wohnungen verbergen, was eigentlich nicht passieren sollte. Aksaray, das belebte Viertel im Herzen Istanbuls, ist der Ort, wo sich das Leben tausender Flüchtlinge entscheidet, wo Iraker auf der Flucht ihre Route in die Europäische Union bestimmen oder syrische Vertriebene auf ihre Schlepper treffen. Und es ist ein Umschlagplatz für Reisedokumente – das Ticket für eine sichere, aber kostspielige Reise nach Europa. Die Nachfrage ist gegeben: Mehr als 200.000 Flüchtlinge sind im ersten Halbjahr 2015 von der Türkei nach Griechenland gereist.

Die Schlepper bieten nicht nur gefährliche Mittelmeer-Überfahrten oder den Landtransport nach Griechenland an. Wer Geld hat, der bekommt gar ein „All-Inclusive-Package“: Bis zu 10.000 Euro kann die Reise mit dem Flugzeug in die EU kosten – Dokumente und Flugticket inbegriffen. Im Umlauf seien aber weniger gefälschte, sondern echte Personalia, sagt Izabella Cooper von Grenzagentur Frontex zur „Presse“. In Datenbanken mit hunderten Ausweisen gehen Schlepper auf die Suche nach perfekten Doppelgängern für ihre Kunden. Auffallend sei, dass immer mehr syrischen Pässe missbraucht würden, meint Cooper. Wie viele echte Personaldokumente aus Syrien derzeit auf dem türkischen Schwarzmarkt vorhanden seien, sei zwar schwer abzuschätzen. Bis Juli aber seien 170 syrische Pässe von den EU-Grenzbehörden beschlagnahmt worden. Davon sei jeder achte im Besitz syrischer Bürger gewesen, 34 der Pässe hätten Personen anderer Nationalitäten bei sich gehabt.

Seitdem Syrer in vielen EU-Staaten hohe Chancen auf einen Asylstatus haben, sind Personalia aus dem Bürgerkriegsland für Flüchtlinge eine Art Freifahrtschein geworden. Selbst viele der rund vier Millionen ins Ausland geflüchteten Syrer aber haben keine gültigen Ausweispapiere mehr: Einige verloren sie auf der Flucht, andere hatten nie Papiere, in manchen Fällen sind sie abgelaufen. Schlepper kaufen die begehrten Dokumente oft Kriminellen ab, die sie zuvor gestohlen haben. Auch kommt es vor, dass Flüchtlinge die sogenannten „Geisterpässe“ von einem Bekannten erhalten und sie nach dem Asylverfahren an ihren rechtmäßigen Besitzer zurückschicken. Manchmal verkaufen sogar Bürger aus den USA oder der EU ihre Pässe freiwillig. Denn auch echte Ausweise aus dem reichen Westen sind gefragt.

Falsche Identitäten auch in Österreich

Dennoch kursieren auf dem Schwarzmarkt auch gefälschte Pässe. Wie einfach es ist, sich eine neue Identität zu verschaffen, bewies ein Journalist der türkischen Zeitung „Habertürk“, der sich in Istanbul als Flüchtling ausgab. Binnen zwei Tagen machte ihn ein Schlepper zu einem finnischen Staatsbürger. Um 500 statt der anfangs kolportierten 1000 Euro erhielt er einen gefälschten Pass. Der einzige Haken: Der Ausweis war blank, ohne die hilfreichen Reisestempel. Aufgrund neuer, ausgeklügelter Sicherheitsmerkmale werde es immer schwieriger, mit gefälschten Personalpapieren in die EU zu kommen, sagt Cooper. Daher sei eben der neueste Trend, sich mit Dokumenten anderer Menschen durchzuschmuggeln.

Insgesamt verzeichnete Frontex 2014 rund 9400 Fälle des Dokumentenbetrugs. Syrer wurden am häufigsten mit falschen Ausweisen aufgegriffen, auch Iraker wurden öfter erwischt als zuvor. Neu ist, dass EU-Beamte syrische Flüchtlinge nicht nur bei dem Eintritt in den Schengenraum, sondern auch bei Reisen innerhalb der EU häufiger beim Dokumentenbetrug ertappten. Die Identitätskontrolle obliegt einerseits den Grenzbeamten. Andererseits wird bei Asylverfahren eine Plausibilitätsprüfung, eine Überprüfung der behaupteten Identität von Antragstellern, durchgeführt.

Auch in Österreich stellten Menschen mit gefälschten Identitäten Asylanträge, sagt der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck. Sowohl Syrer als auch Flüchtlinge aus anderen Staaten habe man dabei erwischt – und das mit und ohne Reisedokumente. Statistisch erhoben werde das Phänomen nicht, erklärt Grundböck. Hierzulande sei es aber selten. Welche Flüchtlinge eine falsche Nationalität behaupteten – in Österreich vor allem Menschen aus dem Westbalkan und Nordafrika–, hänge stark von der Aussicht auf Asyl ab, sagt Grundböck. Wer sich etwa als Kosovare ausgebe, werde in Österreich nur schwer Asyl bekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2015)

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