Labour: Von links nach ganz links

Jeremy Corbyn, the new leader of Britain´s opposition Labour Party speaks at a pro-refugee demonstration in London, Britain
Jeremy Corbyn, the new leader of Britain´s opposition Labour Party speaks at a pro-refugee demonstration in London, Britain(c) REUTERS (NEIL HALL)
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Nach seiner Wahl zum Labour-Chef beginnen für Jeremy Corbyn erst die Herausforderungen.

Dass die britische Labour Party den bisherigen Hinterbänkler Jeremy Corbyn zu ihrem neuen Parteichef wählen würde, war erwartet worden. Doch der Linksruck geriet zum politischen Erdbeben: Mit 59,5 Prozent der Stimmen gewann Corbyn die Wahl bereits im ersten Durchgang mit überlegenem Vorsprung. In seiner Siegesrede versprach der 66-Jährige den Delegierten am Samstag in London eine „gerechte Gesellschaft“.

Das Ausmaß von Corbyns Triumph wird aus dem Ergebnis seiner Mitstreiter ersichtlich. Der Zweitplatzierte, Andy Burnham, kam auf nur 19 Prozent der Stimmen. Zu Corbyns Stellvertreter wählte die Partei den Abgeordneten Tom Watson. Während Corbyn sich als scharfer Gegner der „New Labour“-Ära von Tony Blair und Gordon Brown profiliert hat, war Watson einst ein enger Mitarbeiter von Brown.

Die Einheit der Partei wird eine von vielen Herausforderungen für den neuen Vorsitzenden sein. Corbyn vertritt Labours politische Positionen aus den 1970er-Jahren: für Verstaatlichungen, gegen die Nato, für starke Gewerkschaften, gegen die Banken. Seit seinem Parlamentseinzug 1983 stimmte er mehr als 500 Mal gegen die eigene Partei. Das mögen immer hehre Gewissensgründe gewesen sein. Aber für seine Fraktion steht er nicht gerade als leuchtendes Vorbild an Disziplin da.

Nicht nur das alte New-Labour-Establishment machte daher im Vorfeld der Wahl gegen Corbyn mobil, auch viele der 232 Labour-Abgeordneten sehen sich ihren Wählern mehr verbunden als ihrem neuen Chef. „Desaster“ und „Katastrophe“ waren aus diesen Reihen die wenigen druckfähigen Reaktionen auf seine Wahl. „Ich gebe ihm zwölf Monate“, sagte ein Abgeordneter. Corbyn seinerseits hat angekündigt, die Fraktion durch verstärkte Einbeziehung der Mitglieder auszumanövrieren. Im besten Fall dürfte dies zu Paralyse führen, im schlimmsten Fall zu offenem Konflikt.

Schonzeit für die beste Taktik wird ihm jedenfalls keine bleiben, denn die konservative Regierung wird alles tun, die Labour Party sofort in massive Schwierigkeiten zu bringen: Schon morgen, Montag, kommt eine Vorlage ins Parlament, die erhebliche Einschränkungen für Gewerkschaften vorsieht. Ziel der Tories: Labour als Gegner der Wirtschaft darzustellen. Danach stehen weitere Einschränkungen der Sozialhilfe an. Ziel dieser Maßnahme: Labour soll als Partei der Sozialhilfeempfänger abgestempelt werden, während sich die Tories als Partei der „Tüchtigen und Anständigen“ profilieren wollen. Corbyn gestern: „Die Tories haben die Wirtschaftskrise benützt, um die Armen schrecklich zu belasten.“

Eine weitere Belastungsprobe kommt in der Außenpolitik auf ihn zu: Die Regierung spricht seit Tagen offen über mögliche Militärschläge in Syrien bei Zustimmung des Parlaments. Ein Votum würde auch hier eine tief gespaltene Labour Party bloßlegen. Corbyn, ein lebenslanger Pazifist, sagte gestern: „Kriege hinterlassen ein Erbe der Bitterkeit.“ Er fordert Großbritannien zu einer „humanitären Antwort“ auf die Flüchtlingskrise auf. Nach seiner Wahl zum Parteichef ging er am Samstag auf eine Demonstration für Flüchtlinge.

Neben einer gespaltenen Partei und einer skeptischen Bevölkerung, in der Labour momentan nur 30 Prozent erzielt, steht Corbyn auch einer Mehrzahl dezidiert feindseliger Medien gegenüber. Sein Stellvertreter, Watson, ist einer der schärfsten Gegner von Medienzar Rupert Murdoch. Corbyn warnte ihn: „Wir nehmen eine vielfältige Eigentümerstruktur sehr ernst.“ New Labour sah es einst als Schlüssel zum Erfolg an, mit feindlichen Medien Frieden zu schließen. Es bleibt abzuwarten, wie Corbyn gegen sie bestehen wird.


Besorgte Wirtschaft. Corbyns Wahl wurde von den Gewerkschaften und Bewegungen wie der Scottish National Party oder der irischen Sinn Fein begrüßt. Ebenso voraussehbar zeigte sich die britische Wirtschaft besorgt. Corbyn hatte die Wirtschaft in seiner Rede ebenso wenig erwähnt wie Europa. Vielleicht noch bezeichnender: Als Watson sagte, „die Interessen der Wirtschaft und der Arbeiter sind nicht gegeneinander gerichtet“, applaudierte Corbyn nicht.

Als „Leader of Her Majesty's Opposition“ hat Corbyn ab nun Zugang zu Staatsgeheimnissen. Bei der nächsten Wahl 2020 wird der vegetarische Hobbygärtner, der mit dem Rad ins Parlament kommt, knapp 71 Jahre alt sein. Die Tories werden von nun an alles tun, ihn als nicht geeignet für das höchste Regierungsamt darzustellen. Der Kabarettist Frankie Boyle spottet indes: „Staatsmänner aus aller Welt zittern bereits, dass sie künftig bei Besuchen von Corbyn mit selbstgemachtem Holundersaft beschenkt werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2015)

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