Serbien schimpft: "Schande, Orbán"

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Nicht nur in Wien, auch in Belgrad ist die Empörung über Ungarn groß. Nach Schließung der Grenze rechnet Serbien mit neuen Flüchtlingsmassen.

Belgrad. Ausgerechnet Sträflinge hatten den letzten Durchlass abzuriegeln. Von bewaffneter Polizei bewacht zogen Häftlinge am Wochenende Stacheldraht über den Bahndamm zwischen dem serbischen Grenzort Horgoš und dem ungarischen Röszke. Durch die bisher 40 Meter breite Bresche in Ungarns Grenzzaun waren die Flüchtlinge noch relativ leicht über die Schengen-Grenze gelangt. Schon seit Mitte August ist die Strecke für den Zugverkehr gesperrt. Die ungarische Regierung will den Bahndamm nun mit einem verschließbaren Tor sichern, durch das später wieder die Züge zwischen Belgrad und Budapest verkehren sollen.

Das letzte offene Tor nach Ungarn ist damit zwar geschlossen. Die Arbeiten an dem bereits Ende August für fertiggestellt erklärten Grenzzaun aber noch keineswegs beendet. Der Großteil des 175 Kilometer langen, aber eher durchlässigen Grenzwalls ist bisher nur provisorisch mit Stacheldrahtrollen angelegt. Laut Angaben des Verteidigungsministeriums sind mittlerweile 4300 Soldaten abkommandiert, um die gesamte Grenze zu Serbien mit einem zweiten vier Meter hohen Stacheldrahtzaun abzuriegeln.

Wachsendes Unbehagen

Nicht nur die fortschreitende Selbstabgrenzung der Nachbarn, sondern auch Ungarns umstrittene, am Dienstag in Kraft tretende Notstandsgesetze werden im nahen Serbien mit wachsendem Unbehagen verfolgt. Mit den Gesetzen habe Budapest die Bedingungen geschaffen, Flüchtlinge in die Länder auszuweisen, von denen sie nach Ungarn eingereist seien, sagt Aleksander Nikoli, Staatssekretär im serbischen Innenministerium. Wegen der drohenden Massenabschiebungen sieht er Anlass zur Sorge: „Ich bin mir nicht sicher, ob wir für die Rückführung von Flüchtlingen aus Ungarn bereit sind.“

Sollte der starke Andrang von aus Mazedonien einreisenden Flüchtlingen anhalten, deren Ausreise ins Stocken geraten ist, und sich die Anzahl abgeschobener Migranten aus Ungarn vermehren, dürfte dem Transitland tatsächlich ein Rückstau drohen. Die Flüchtlinge könnten künftig „zehn Tage oder mehr“ im Land verbleiben, begründet Premier Aleksandar Vučić die geplante Errichtung weiterer Aufnahmelager: „Wir müssen uns für den Winter vorbereiten.“

Mehr Druck auf die Nachbarn

Mittelfristig wird auch in Belgrad mit einer Änderung der bisherigen Route zur Umgehung von Ungarns Grenzzaun gerechnet: Sowohl Rumänien im Osten als auch Kroatien und Slowenien im Westen bereiten mittlerweile fieberhaft provisorische Aufnahmelager vor. Zunächst dürfte Ungarns verschärfter Kurs jedoch vor allem den Druck bei den Nachbarn vergrößern.

Serbiens Öffentlichkeit reagiert derweil nicht nur auf die einseitige Selbstabgrenzung, sondern auch auf die Bilder des rüden Umgangs mit den Flüchtlingen bei den Nachbarn mit zunehmendem Unverständnis: Manche Serben fühlen sich dabei ungut an die ungarische Besatzung der Vojvodina im Zweiten Weltkrieg erinnert.

„Ein schlechter Nachbar“ und „Faschist aus dem Herzen Europas“ überschrieb die führende serbische Zeitung, „Blic“, am Wochenende ein Bildnis des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, dem sie die Worte „Schande, Orbán“ als Hitler-Bärtchen unter die Nase montierte: „Der selbst ernannte Hüter Europas bedroht mit seinen miesen Methoden alles, was er angeblich verteidigt.“

Diplomatischer drückt sich Serbiens Premierminister aus. Das Foto des serbischen Polizisten, der ein weinendes Flüchtlingskind tröstend in die Arme nahm, sei die „Vorderseite Europas“, die Aufnahmen der ungarischen Kamerafrau, die Flüchtlingskinder trat, die „Kehrseite Europas“, so Vučić. Vor 20 Jahren seien viele Serben selbst auf der Flucht gewesen, erinnert er an die Jugoslawien-Kriege: „Vor uns stehen zahlreiche Probleme. Aber wir werden keine Mauern errichten, sondern Serbien wird seinen Teil der Verantwortung übernehmen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2015)

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