Die verdrängte Krise in Griechenland

Die Parlamentswahlen am Sonntag könnten eine Pattstellung ergeben und zu politischer Lähmung in Athen führen. Ein beunruhigendes Szenario: Denn die Wirtschaft steht noch immer still.

Athen. Monatelang war Griechenland in den Schlagzeilen. Doch die Parlamentswahlen am Sonntag sorgen kaum für Aufmerksamkeit – ein fast ungewohntes Bild für das Sorgenkind Europas, das im Juli um ein Haar seinen Platz in der Eurozone verloren hätte. Der Grund für die Gelassenheit: Die größten griechischen Parteien haben das Rettungsprogramm für Griechenland in Höhe von über 86 Milliarden Euro unterschrieben, es wird daher nicht erwartet, dass die neue Regierung einen Anti-Europa-Kurs fährt. Die europäischen Partner warten den Ausgang des Urnengangs entspannt ab, werden anschließend jedoch aufs Tempo drücken: Das Mittelmeerland muss schnellstens die Spar- und Reformauflagen des Hilfspakets erfüllen, der Wahlkampf, obwohl einer der kürzesten in der Geschichte des Landes, hat Zeit bei der Umsetzung der Maßnahmenpakete gekostet.

Kopf-an-Kopf-Rennen

Doch zunächst muss gewählt werden, und noch ist nicht absehbar, wer das Rennen machen wird. In Meinungsumfragen haben abwechselnd das Radikale Linksbündnis Syriza von Alexis Tsipras und die Konservativen (ND) von Evangelos Meimarakis die Nase vorn. Eines ist jedenfalls sicher: Griechenland wird wieder ein Parlament mit zwei dominierenden Großparteien bekommen, Syriza und ND haben in den vergangenen Tagen regen Zulauf aus dem großen Reservoir der Unentschlossenen erhalten, beide dürften sich der 30-Prozent-Marke nähern. Sämtliche anderen Parteien werden wohl unter zehn Prozent bleiben, wobei die neonazistische Goldene Morgenröte und die sozialistische Pasok um den dritten Rang rittern dürften. Die rechtspopulistische Anel von Panos Kammenos, bis Juli in der Koalition mit Syriza, muss um den Einzug ins Parlament bangen.

Tsipras schließt Große Koalition aus

Hinter den Wahlkampftribünen sind längst Diskussionen über die neue Regierung in Gang gekommen. Denn es gibt ein Szenario, das sogar die Europäer beunruhigen könnte: neuerliche Wahlen wegen der Unmöglichkeit einer Regierungsbildung wie schon im Jahr 2012. Das wäre für die Wirtschaft – und das neue Rettungsprogramm – fatal. Bisher deutet nichts darauf hin, dass eine der Großparteien aus eigener Kraft eine Regierung wird bilden können, dafür wären rund 37Prozent der Stimmen nötig. Daher muss entweder eine Große Koalition oder eine Koalition mit einem oder mehreren Juniorpartnern gebildet werden. Eine Koalition mit der ND schloss Tsipras aus, das wäre pervers, meinte er. Zu den Parteien der linken Mitte, Pasok und Potami, ist er im Lauf des Wahlkampfs hingegen immer höflicher geworden, wegen der Probleme seines Verbündeten Kammenos.

Laut Einigung mit den Gläubigern müssen Anfang Oktober die Gesetzesentwürfe für die Rekapitalisierung der Banken verabschiedet werden. Das ist eine Überlebensfrage für die griechische Wirtschaft, die von der faktischen Kreditsperre der illiquiden Banken und den immer noch aufrechten Kapitalkontrollen schwer getroffen wurde: Ohne Rekapitalisierung gibt es keine Aufhebung der Kapitalkontrollen. Nur dadurch kann die Wirtschaft in Gang kommen. Der gute Tourismussommer allein brachte keinen Aufschwung.

Auch andere schmerzhafte Maßnahmen muss die neue Regierung im Oktober beschließen: Einschnitte ins Pensionssystem und bei Begünstigungen für Bauern. Ebenfalls im Oktober sollen die acht Monate auf Eis gelegten Privatisierungen starten, Ausschreibungen werden vorbereitet – die neue Privatisierungskasse, die dann die Verwaltung der staatlichen Immobilien übernehmen wird, soll erst gegen Ende des Jahres aus der Taufe gehoben werden. Doch die Zeit drängt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2015)

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