Thaçi: "Moskaus Einflussnahme ist eine Bedrohung"

Kosovos Außenminister Hashim Thaçi.
Kosovos Außenminister Hashim Thaçi.(c) EPA (VALDRIN XHEMAJ)
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Kosovos Außenminister Hashim Thaçi über Russlands Balkanpolitik, die Flüchtlingsfrage und mögliche Ermittlungen gegen Ex-UÇK-Kämpfer.

Die Presse: Das Thema Flüchtlinge beschäftigt derzeit intensiv die EU. Fürchten Sie, dass als Nebeneffekt die Bürger des Kosovo nicht mehr in den Genuss von visafreiem Reisen in die EU kommen?

Hashim Thaçi: Wir sind ein indirektes Opfer dieser Krise. Anfang des Jahres gab es eine kurze Phase von illegaler Migration in die EU aus dem Kosovo. Aber wir haben das gestoppt. Jetzt sind wir dabei, diese Personen aus Deutschland und anderen Ländern in den Kosovo zurückzuführen. Der Kosovo hat alle Kriterien für die Visa-Liberalisierung erfüllt. Wir sollten von Brüssel nicht mit doppelten Standards konfrontiert werden.

Was war der Grund für diese massive Auswanderung?

Das war ein Trick von Schleusern mit finanziellem Interesse. Wir haben einige von ihnen verhaftet. Und wir haben Infokampagnen gestartet, um unseren Bürgern klarzumachen, dass sie in EU-Ländern kein Asyl bekommen werden.

Wenn so viele Menschen den Kosovo verlassen wollten, zeigt das doch, dass sie mit ihrem Leben dort nicht zufrieden sind.

Der Kosovo sieht sich großen sozialen Herausforderungen gegenüber. Wir haben Fortschritte gemacht, aber es muss noch viel getan werden. Dieses Jahr haben wir Auslandsinvestitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro gesichert. Aber wir können nicht leugnen: Das Schaffen neuer Jobs bleibt eines der größten Probleme. Politiker aller Länder der Region nennen dieselben Herausforderungen: Wirtschaft und Jobs. Zum Glück gab es nie mehr Kooperation in der Region als jetzt. Das hat auch der Balkangipfel in Wien im August gezeigt. Jeder Politiker der Region sollte die Kapitel der Vergangenheit rasch schließen. Denn wir zahlen noch immer den Preis für die Kriege in Ex-Jugoslawien.

Zu diesen Lasten der Vergangenheit gehören die Verbrechen im Kosovo-Krieg. Prishtina richtet dazu nun einen Sondergerichtshof ein. Veteranen der Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK, Anm.) sind dagegen. Was sagen Sie ihnen als einstiger politischer Direktor der UÇK?

Die Schaffung dieses Gerichtshofs war eine sehr sensible Angelegenheit. Die Entscheidung war nicht einfach, aber wir haben sie getroffen. Es war eine internationale Verpflichtung des Kosovo. Auch wenn es nicht populär war, so war es eine richtige Entscheidung.

Fürchten Sie nicht, dass Mitglieder Ihrer Partei ins Visier des Gerichtshofs geraten könnten?

Es geht nicht um Personen, sondern um einen Prozess, der eine Chance bietet. Wir sollten darauf achten, was das Land dadurch gewinnen kann. Wir sollten jetzt nicht über Namen diskutieren. Der Kosovo hat mit der Entscheidung, den Gerichtshof einzurichten, international Reife bewiesen.

Aber der neue Gerichtshof wird Prozesse gegen konkrete Personen führen. Seine Einrichtung ist ja auch das Resultat des Berichts von Sonderermittler Dick Marty zu Verbrechen im Kosovo, der auch Sie persönlich belastet hat.

Die Geschichte kann durch Gerichtsprozesse nicht umgeschrieben werden. Der Kosovo hat einen Verteidigungskrieg geführt. Ich kann keine Garantien dafür abgeben, dass es nicht auch auf kosovo-albanischer Seite Übergriffe durch verbitterte Personen gegeben hat. Das kann man aber nicht mit dem Genozidversuch der Serben gleichsetzen. Wichtig ist, dass nun alles transparent verläuft. Der Kosovo hat jedenfalls nichts zu verbergen.

Während des Kosovo-Kriegs war Serbiens heutiger Premier, Aleksandar Vučić, Informationsminister in Belgrad, und der jetzige Außenminister, Ivica Dačić, war Pressesprecher der Partei des Machthabers, Slobodan Milošević. Hätten Sie sich damals vorstellen können, eines Tages mit beiden Gespräche zu führen?

Verhandlungen waren damals für uns nicht unvorstellbar. Ich hätte mir aber nie vorstellen können, im selben Fußballteam zu spielen so wie beim Balkangipfel in Wien im August. Da hat am Abend eine Balkan-Politiker-Mannschaft gegen die EU-Politiker-Mannschaft gespielt.

Trotzdem erkennen Vučić und Dačić die Eigenstaatlichkeit des Kosovo nicht an.

Serbien hat de facto bereits akzeptiert, dass der Kosovo ein unabhängiger Staat ist. Jeden Tag setzt Belgrad Schritte, die es einer offiziellen Anerkennung des Kosovo näherbringen. Premier Vučić hat eine konstruktive Rolle beim Abschluss der jüngsten Vereinbarungen zwischen Belgrad und Prishtina in Brüssel gespielt. Sie sind im Interesse beider Länder, tragen zur Normalisierung der Beziehungen bei und beschleunigen unseren EU-Integrationsprozess.

Um UN-Mitglied zu werden, braucht der Kosovo aber Moskaus Zustimmung. Sehen Sie eine Chance, dass Serbiens Verbündeter Russland den Kosovo anerkennt?

Die Russen können keine größeren Serben als die Serben selbst sein. Wir haben Verträge mit Belgrad geschlossen, um die Beziehungen zu normalisieren. Deshalb sollte auch Russland eine positivere Sicht auf den Kosovo haben und unsere Unabhängigkeit anerkennen. Wir möchten gute Beziehungen zu Russland. Wir sehen es aber auch als Bedrohung, dass Moskau in der Balkanregion größeren Einfluss nehmen will als bisher. Je mehr sich die EU damit Zeit lässt, diese Region aufzunehmen, desto größer wird diese Bedrohung werden.

ZUR PERSON

Hashim Thaçi war während des bewaffneten Aufstands gegen Serbien (1997 bis 1999) politischer Direktor der kosovo-albanischen Untergrundarmee UÇK. Im Juli 1999 zogen die serbischen Truppen nach mehrmonatigen Nato-Luftangriffen aus dem Kosovo ab. Thaçi wurde Übergangspremier des Kosovo, der zunächst unter internationaler Aufsicht stand. Als das Parlament in der Hauptstadt Prishtina 2007 die Unabhängigkeit des Kosovo erklärte, war Thaçi erneut Regierungschef. Seit Dezember 2014 hat er das Amt des Außenministers inne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2015)

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