Nur Polen durchbricht die Ablehnungsfront

 Noch in Prag beschworen die Regierungschefs der Visegrád-Staaten vor nicht einmal drei Wochen ihren Widerstand gegen eine EU-Flüchtlingsquote – bis Polens Ewa Kopacz aus der Herrenriege ausscherte. Von links: Viktor Orbán (Ungarn), Bohuslav Sobotka (Tschechien) und Robert Fico (Slowakei).
Noch in Prag beschworen die Regierungschefs der Visegrád-Staaten vor nicht einmal drei Wochen ihren Widerstand gegen eine EU-Flüchtlingsquote – bis Polens Ewa Kopacz aus der Herrenriege ausscherte. Von links: Viktor Orbán (Ungarn), Bohuslav Sobotka (Tschechien) und Robert Fico (Slowakei).(c) Imago/CTK Photo
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Tschechien, die Slowakei und Ungarn blieben bei ihrem kategorischen Nein zur EU-Flüchtlingsquote.

Prag/Bratislava/Budapest/Warschau. Als Kronzeugen für eine restriktive Flüchtlingspolitik lud CSU-Chef Horst Seehofer den ungarischen Premier vor Beginn des EU-Sondergipfels in Brüssel demonstrativ zur Herbstklausur ins oberfränkische Kloster Banz – und der Protest der Grünen und der SPD in München und Berlin bestätigte ihn nur noch. Viktor Orbán ist zur Symbolfigur der Abschottung geworden, nicht nur innerhalb der Viségrad-Staaten Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen, die mehrfach ihren harten Kurs gegen die EU-Asylpolitik artikuliert haben. Zuletzt brach Polen aber doch aus der Front aus.

Slowakei. Regierungschef Robert Fico stellt sich lautstark an die Spitze der Rebellen gegen die Flüchtlingsquoten: „Lieber gehe ich in ein Strafverfahren (der EU) gegen die Slowakei, als dass ich dieses Diktat respektiere“, schimpfte Fico nach dem Beschluss der EU-Innenminister. Am Mittwoch ging er dann noch einen Schritt weiter und kündigte eine Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg an: „Die slowakische Regierung wird den rechtlich bindenden Akt nicht implementieren, den die Innenminister per Abstimmung beschlossen haben.“

Damit erfüllt der Sozialdemokrat seine Drohung: „Egal, welches Organ der EU dies von uns verlangen sollte, wir werden niemals verpflichtende Quoten akzeptieren. Niemals. Auch dann nicht, wenn wir ganz allein mit dieser Position bleiben sollten.“

In einem halben Jahr muss sich Fico bei den Parlamentswahlen nicht nur gegen die zersplitterte bürgerliche Opposition behaupten, sondern auch den drohenden Stimmengewinn rechtspopulistischer bis rechtsextremer Kräfte abfangen. Schamlos übernimmt er deren Vokabular. Das „Diktat“ aus Brüssel findet sich nicht zufällig in den Slogans, mit denen die noch kleine slowakische Neonazi-Szene für ihre Kundgebungen mobil macht.

Paradebeispiel Gabčikovo

Nur eine Statistenrolle spielen in diesem Schauspiel die Zwergparteien, die sich im bürgerlichen Lager gegenseitig Stimmen wegnehmen: Mehr mit Phrasen als mit Konzepten wollen sie Fico den Rang streitig machen. Quoten hält Fico deshalb für „irrational“, weil die Flüchtlinge sowieso nicht im Land bleiben, sondern bei der ersten Gelegenheit in ihre tatsächlichen Zielländer wie Deutschland oder Österreich weiterziehen würden.

Das zeige sich gerade am Beispiel Gabčikovo, wo seit Juli 500 Asylbewerber aus österreichischen Flüchtlingslagern untergebracht werden sollten. Obwohl die Unterkunft im Vergleich zum überfüllten Traiskirchen deutlich behaglicher wäre, ließen sich bisher nur 24 Menschen zur zeitweisen Übersiedlung in die Slowakei überreden. „Das ist eine lächerliche Zahl“, höhnt Fico. „Zugleich ist das ein starkes Argument, dass die Flüchtlinge einfach nicht in der Slowakei bleiben wollen.“


Ungarn. Auffallend zurückhaltend reagierte Ungarn auf die Überstimmung im Rat der Innenminister. Orbán forderte von der EU ein Drei-Milliarden-Euro-Programm zur Bewältigung der Flüchtlingskrise sowie eine weltweite Aufteilung der Schutzbedürftigen. Auf die am Dienstag fixierte Verpflichtung zur EU-weiten Übernahme von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland ging Orbán nicht ein.

Die Zurückhaltung hat mindestens drei Gründe. Erstens geht man in Budapest nicht davon aus, dass dem Beschluss der Innenminister rasch Taten folgen werden – und verweist auf die im Juli prinzipiell beschlossene Umsiedlung von 40.000 Asylwerbern, die bis dato nicht stattgefunden hat. Zweitens basiert die beschlossene Verteilung von 120.000 Personen auf keinem fixen Verteilungsschlüssel, der Präjudizwirkung für künftige Notfälle hätte – mit ein Grund, weshalb die Polen ihren anfänglichen Widerstand aufgegeben haben. Und drittens kann Ungarn, da es keine Flüchtlinge zur Verteilung bereitstellt, folglich auch nicht von der EU-Kommission als „Frontstaat“ qualifiziert werden.

Das Hilfsangebot der Brüsseler Behörde wird in ungarischen Regierungskreisen als Falle angesehen – die Einrichtung von Erstaufnahmezentren unter EU-Ägide habe dazu geführt, dass man Ungarn bei der Registrierung der Neuankömmlinge genau auf die Finger schaue. In Budapest geht man ohnehin davon aus, dass alle Asylwerber nach Deutschland wollen. Aus dieser Perspektive hat die Niederlage beim Votum der Innenminister keine gravierenden Konsequenzen.


Rumäniens Präsident, Klaus Johannis, konzedierte, die rumänische Quote sei tatsächlich nicht hoch und „leicht zu handhaben“. Er erklärte sich bereit, in den nächsten ein bis zwei Jahren – und nicht in den nächsten Wochen – rund 2500 Flüchtlinge aufzunehmen. Johannis stellte die Prinzipien der EU-Kommission infrage, insbesondere die „mathematische Umverteilung“.

Tschechiens Innenminister, Milan Chovanec, konnte seinen Ärger nach dem Votum seiner Amtskollegen nicht verbergen: „In Brüssel hat der gesunde Menschenverstand verloren“, twitterte er. Tags darauf war die Politikerriege in Prag zwar noch verschnupft, aber zur Entspannung bereit. Die angedrohte Klage gegen die Flüchtlingsquoten wird wohl entfallen.

Die Mehrheit der sozialdemokratischen Minister – führende Kraft in der Regierung – sprach sich dagegen aus. Auch Finanzminister Andrej Babis vom liberal-populistischen Koalitionspartner ANO meinte, es sei „nicht vernünftig, sich juristisch zu wehren, weil uns das die EU mit Zinsen zurückzahlt“. Tschechien bekomme jährlich hunderte EU-Millionen. Außerdem, so Babis, werde der Quotenmechanismus nicht funktionieren. „Die Flüchtlinge wollen nun einmal nicht zu uns.“

Die Regierung war sich in der Quotenfrage mit der Bevölkerung so einig wie kaum je zuvor. 81 Prozent der Tschechen lehnen die Aufnahme von Flüchtlingen prinzipiell ab. Es herrscht eine große Furcht vor allem vor Zuwanderern aus islamischen Staaten. Die Polizei registrierte zuletzt einen beachtlichen Anstieg von Anrufern, die angaben, vermeintliche Terroristen gesehen zu haben.


Polen. Trotz Absprachen mit Ungarn, Tschechien und der Slowakei scherte Polen in letzter Minute aus und stimmte der EU-Flüchtlingsquote zu. „Wir haben uns so entschieden, weil wir überzeugt sind, dass wir solidarisch sein und den Flüchtlingen helfen müssen“, so Innenministerin Teresa Piotrowska.

Europaminister Rafal Trzaskowski erklärte, die Regierung habe ihre Hauptforderungen durchgesetzt. So soll die EU-Außengrenze künftig geschützt und sollen Wirtschaftsflüchtlinge ausgesondert werden. Zudem bekommt Polen das Recht, im Fall einer Flüchtlingswelle aus der Ukraine die Aufnahme von Syrern, Irakis und Eritreern auszusetzen.

Polens rechtsnationale Opposition kritisierte hingegen Piotrowskas Ausscheren aus der Visegrád-Gruppe als Verrat. Präsident Andrzej Duda zitierte die Innenministerin in den Präsidentenpalast. Diesem Ansinnen widersprach ein Sprecher des Innenministeriums. Duda ist zwar vor der Amtsübernahme aus der Kaczyński-Partei Recht und Gerechtigkeit ausgetreten, er unternimmt jedoch alles, um die Siegeschancen seiner einstigen Partei bei den Parlamentswahlen Ende Oktober zu erhöhen. Kaczyński hatte Polen erst kürzlich vor dem Verlust der Identität als katholisches Land sowie der Einführung der Scharia in Polen gewarnt. Es ist nicht zuletzt dieser Rechtspopulismus, der die Regierung zur Kehrtwende motiviert hat.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2015)

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