Kroatien/Serbien: Am Balkan brechen Ressentiments wieder auf

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Die gegenseitige Grenzblockade weckt die Emotionen. Kroatiens Premier, Zoran Milanović, steuert bewusst auf Konfrontationskurs.

Belgrad/Zagreb. An der blockierten Grenze der einstigen Kriegsgegner stauen sich Wagen, Waren – und Wut. Trotz des eskalierenden Handelskriegs mit Serbien scheint Kroatiens streitbarer Premier, Zoran Milanović, von keinerlei Selbstzweifeln geplagt. Als „lächerlich“ bezeichnet der 48-jährige Sozialdemokrat die Gegenmaßnahmen eines Importverbots kroatischer Waren als Reaktion auf die von ihm verfügte Blockade des Frachtverkehrs: „Kroatien ist Mitglied der EU. Alles, was Serbien unternimmt, richtet sich gegen die EU.“

In der Flüchtlingskrise brechen die Ressentiments aus der Zeit der Balkan-Kriege wieder auf. Serbien bezichtigte Kroatien im Gegenzug des Rassismus und der faschistischen Methoden des Ustascha-Regimes der 1940er-Jahre. Seit Ungarn seine Grenze zu Serbien für Flüchtlinge abgeriegelt hat, liegen an der kroatisch-serbischen Grenze die Nerven blank. 50.000 Flüchtlinge sind bisher von Serbien über die grüne Grenze nach Kroatien gelangt – über 40.000 von ihnen hat Zagreb schon nach Ungarn geschleust.

„Wir sind auch keine Idioten“

Serbien müsse die Hälfte der von Mazedonien einreisenden Flüchtlinge an die ungarische Grenze und nach Rumänien karren und nicht alle in Richtung Kroatien lenken, so die Forderung von Milanović. Solange dies nicht geschehe, bleibe die Grenze für den Frachtverkehr gesperrt: „Kroatien ist bereit, die Hälfte der Leute aufzunehmen. Aber nicht alle – wir sind auch keine Idioten.“

An Selbstbewusstsein hat es dem Juristen nie gemangelt. Doch obwohl der Chef von Kroatien seit knapp vier Jahren amtierender Mitte-links-Koalition seine ersten Arbeitserfahrungen in den 1990er-Jahren im diplomatischen Dienst sammelte, scheint sich der von Kritikern als überheblich und beratungsresistent beschriebene Premier in der Flüchtlingskrise gezielt jeglichen diplomatischen Fingerspitzengefühls zu entledigen.

In Kroatien herrsche Ordnung, bei den Nachbarn das „Chaos“, schreibt der Poltergeist Belgrad ins Stammbuch: „Serbien funktioniert nicht wie ein echter Staat.“ Ein Adler – gemeint ist Kroatien – jage keine „Mücke“, sprich Serbien. Mit Ungarn und der kroatischen Opposition forme Serbien eine „Achse“ der „Heiligen Dreifaltigkeit“: „Nationalisten sind überall gleich.“

Mit Empörung reagiert Serbiens Öffentlichkeit nicht nur auf die Grenzblockade, sondern auch auf den provozierenden Straßenjargon der Botschaften aus Zagreb. Um solche Dinge habe man früher Krieg geführt, ärgert sich Serbiens Außenminister, Ivica Dačić. Noch härter geht Serbiens Presse mit Kroatiens Premier ins Gericht. „Kroatiens Premier ist ein Idiot!“, urteilt harsch der „Kurir“. „Ein Verrückter führt Kroatien in den Krieg!“, titelt aufgeregt das Boulevardblatt „Alo!“.

Angst vor Abwahl

Aus Angst vor der Abwahl bei den bevorstehenden Parlamentswahlen schlägt Dauerwahlkämpfer Milanović nicht nur gegenüber der Konkurrenz der konservativen HDZ, sondern auch gegenüber den Nachbarn Serbien und Ungarn betont markige Töne an. Auf Kritik stößt der Konfrontationskurs zu Serbien nicht nur bei der heimischen Wirtschaft, sondern auch bei der Presse. Die Grenzblockade treffe nicht nur Serbien, sondern auch Kroatien, meint die Zagreber Zeitung „Jutarnji List“. Die Aufgabe des Premiers sei es, die Probleme der Flüchtlingskrise im Gespräch mit allen Betroffenen zu lösen: „Er muss mit den nächsten Nachbarn kommunizieren.“ Die „arrogante“ Botschaft sei hingegen eine „unsympathische Kopie“ der Handschrift seines ungarischen Amtskollegen, Viktor Orbán.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2015)

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